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WHO verschärft Grenzwerte
Die Schweizer Luft muss sauberer werden

Trübe Luft über Zürich: Feinstaub und Gase wie Stickstoffdioxid schaden der Gesundheit.
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Mit jedem Atemzug saugen wir Schadstoffe in die Lunge, unsichtbar feine Partikel und schädliche Gase wie Stickstoffdioxid. Über die Monate und Jahre hinweg hat das negative Folgen für die Gesundheit. Weltweit sterben gemäss Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr rund 7 Millionen Menschen vorzeitig durch Luftverschmutzung, in der Schweiz sind es gemäss Hochrechnungen des Bundesamts für Raumentwicklung ARE allein durch Feinstaub rund 2200 pro Jahr.

Die menschliche Gesundheit leidet sogar schon bei einer geringeren Schadstoffbelastung der Luft als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten gedacht. Daher hat die Weltgesundheitsorganisation WHO nun die Grenzwerte für einige wichtige Luftschadstoffe teils deutlich gesenkt.

In der Schweiz haperts beim Ozon

«Die Richtwerte mussten nach unten korrigiert werden, da in den vergangenen 15 Jahren sehr grosse Langzeitstudien mit zum Teil mehreren Hunderttausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern publiziert wurden, an denen auch Regionen mit sehr geringer Schadstoffbelastung – zum Beispiel die Schweiz – beteiligt waren», sagt Nino Künzli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH), der an der Entwicklung der neuen Leitlinien der WHO mitgearbeitet hat. Aus den Studien liess sich der Zusammenhang zwischen der Schadstoffkonzentration und der Gesundheit auch für Konzentrationen herleiten, welche weit unter den bisherigen Richtwerten liegen.

«Die Studien bestätigen, was sich vor 20 Jahren noch nicht belegen liess», sagt Künzli: «Es gibt keine unschädlichen Schwellenwerte der Luftverschmutzung. Die neuen WHO-Richtwerte entsprechen den tiefsten Werten, für welche solide und replizierbare Daten vorliegen.»

Die bisherigen Grenzwerte der WHO von 2005 konnten in der Schweiz laut Künzli dank konsequenter Luftreinhaltepolitik bereits grossräumig für fast alle Schadstoffe eingehalten werden – eine Ausnahme ist Ozon. «Die neuen WHO-Richtwerte werden derzeit in der Schweiz aber an den meisten Orten überschritten.» Das gilt vor allem für Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon. Bei Kohlenmonoxid und Schwefeldioxid werden die neuen WHO-Leitlinien in der Schweiz bereits jetzt eingehalten.

Saubere Luft reduziert Risiko für schweren Covid-19-Verlauf

Wie sehr sich der Einsatz für saubere Luft lohnt, hat auch die Covid-19-Pandemie deutlich gemacht. «Die von der Luftverschmutzung mitverursachten chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenerkrankungen oder Diabetes stellten sich in der Covid-19-Pandemie als sogenannte Risikokrankheiten für einen schweren Covid-19-Verlauf heraus», sagt Künzli. «Länder, die in den vergangenen 20 Jahren die Luftqualität verbessert haben, konnten somit in der Pandemie von diesem Vorteil profitieren.»

Auch finanziell zahlt sich die Luftreinhaltung aus, denn die Krankheitskosten, die durch Luftverschmutzung entstehen, sind höher als die Kosten für die Luftreinhaltung. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hat laut Künzli vor 20 Jahren geschätzt, dass der Nutzen ihrer Luftreinhaltepolitik circa 30-mal höher ist als deren Kosten.

Es geht darum, die Luftqualität global zu verbessern: Ein Mann schützt sich mit Maske gegen die hohe Feinstaubbelastung am 14. November 2018 in Peking.

Eine grosse Herausforderung besteht darin, die Luftqualität global zu verbessern, nicht nur in den westlichen Ländern. Daher sollte sich die Schweiz laut Künzli auch global für Luftreinhaltung einsetzen. «Extrem stark belastete Länder in Asien, Afrika und Südamerika sehen nach wie vor eine zunehmende Verschlechterung der Luftqualität», sagt Künzli. «Die Schweiz kann hier einerseits mit Know-how, Technologie, Forschung und Lehre einen Beitrag leisten. Andererseits muss verhindert werden, dass die Schweiz und andere westliche Länder stark verschmutzende Technologien und Produkte in diese Länder exportieren.»

Die WHO-Empfehlungen haben allerdings keine rechtliche Verbindlichkeit. Auch viele westliche Länder haben die Richtwerte von 2005 nicht gesetzlich festgeschrieben, darunter die EU, deren Grenzwerte teils deutlich höher liegen. «Richtwerte, die von den nationalen Behörden ignoriert werden, bringen nichts», sagt Künzli. «Die WHO-Richtwerte aus 2005 für Feinstaub sind beispielsweise erst in Australien, Afghanistan, Kamerun, Island, im Iran und in der Schweiz sowie im US-Staat Kalifornien – und annähernd in den USA und Mexiko – gesetzlich verankert.»

Was bedeuten die neuen Richtwerte der WHO für die Schweiz? «Diese neuen Richtlinien werden sicher eine grosse Herausforderung sein», sagt Markus Kalberer, Atmosphärenwissenschaftler an der Universität Basel. Wenn man die letzten Richtlinien der WHO von 2005 als analoge Situation in Betracht ziehe, dann habe es in der Schweiz etwa 15 Jahre gedauert, bis die grosse Mehrheit der Messstandorte die Werte für Feinstaub der WHO unterschritten hatten. Aus seiner Sicht sollten die neuen Richtlinien der WHO als langfristiges Ziel verstanden werden, auf das man über viele Jahre hinarbeitet. «Die sich stark verändernde Zusammensetzung der Fahrzeugflotte in den kommenden 10 bis 20 Jahren im Zuge der Bestrebungen für deren Elektrifizierung wird sicher einen bedeutenden Beitrag leisten, die Abgasemissionen des Verkehrs weiter zu verringern.»

Die Elektrifizierung des Verkehrs wird zur Reduktion der verkehrsbedingten Emissionen beitragen: Autos auf der Rosengartenstrasse und der Hardbrücke in Zürich.

Gemäss Lukas Emmenegger von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf ist die Umsetzung der neuen WHO-Empfehlungen «ein politischer Prozess, der Zeit brauchen wird und unter Umständen auch Zwischenziele beinhaltet. Solche sind auch explizit in den WHO-Leitlinien vorgesehen.» In der Pflicht stünden nun insbesondere die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene (EKL), aber auch der Bundesrat, das Parlament und schliesslich die Kantone und Gemeinden, welche weitgehend für den Vollzug der Umweltgesetzgebung zuständig sind.

Reduktion der Emissionen von Holzheizungen und der Landwirtschaft

Laut Künzli brauche es zur Einhaltung der neuen Grenzwerte auch die Forderung nach der besten Technologie für Holzheizungen und die Reduktion der landwirtschaftlichen Emissionen. «Zudem soll die Schweiz auch in Zukunft mit den Nachbarländern und in Europa insgesamt kompromisslos die Interessen der Luftreinhaltung vertreten», sagt Künzli. «Insbesondere in der EU wurden die Ziele durch Partikularinteressen stark verwässert, weshalb die Fortschritte hinter den in der Schweiz erreichten Verbesserungen herhinken. Die strengeren WHO-Richtwerte werden wohl nur dann grossräumig erreicht werden können, wenn diese Ziele auch in den umliegenden Ländern angestrebt werden.»

Im Stall und beim Ausbringen von Gülle entweicht Ammoniak, das sich in der Luft mit anderen Gasen verbindet und zu Feinstaub wird.

Forschungsbedarf bestehe vor allem noch beim Ozon, dessen Werte sich im Sommer trotz oder teilweise wegen der starken Verbesserung der Luftqualität seit Jahren kaum verändern. Auch die Bildung und Entwicklung der ultrafeinen Partikel sowie deren Auswirkungen stehen weiterhin auf der Forschungsagenda. «Die wissenschaftlichen Studien deuten darauf hin, dass diese ultrafeinen Schadstoffe möglicherweise besonders gefährlich sind, weil sie in den Körper und sogar in das Gehirn eindringen können», sagt Barbara Hoffmann vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. «An dieser Stelle müssen wir dringend weitere Studien durchführen.»

Das weitaus grösste Problem ist laut Künzli der Mangel an Umsetzung einer stringenten Luftreinhaltepolitik. Es fehle an Forschung und somit dem Wissen, warum die meisten Länder die WHO-Richtwerte nicht in der Gesetzgebung berücksichtigen. «Man sollte erforschen, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit Regierungen die Luftreinhaltung wirklich ernst nehmen.»

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