Ranking zu Sonnen- und WindenergieSchweiz hinkt beim grünen Strom hinterher
Warum die Schweiz im Vergleich mit EU-Ländern schlecht abschneidet und was die anderen besser machen.
Eigentlich hat die Schweiz beste Voraussetzungen für eine klimaschonende Energieversorgung mit erneuerbarer Energie. Speicher- und Laufwasserkraftwerke übernehmen knapp 60 Prozent der Stromproduktion. Und inzwischen ist unbestritten, dass Solar- und Windstrom grundsätzlich das Potenzial hätten, um die Kernkraft zu ersetzen. «Die Fotovoltaik und die Schweizer Wasserkraft würden sich im Winter perfekt ergänzen», sagt Urs Muntwyler von der Berner Fachhochschulen auf Anfrage.
Dennoch sprudelt die Quelle der neuen erneuerbaren Energie im internationalen Vergleich immer noch spärlich, wie die heute veröffentlichte Studie der Schweizerischen Energiestiftung (SES) zeigt. Nur fünf EU-Staaten sind schlechter als die Schweiz. Die SES publiziert seit 2010 diesen Ländervergleich und stellt fest, dass sich unser Land seither stets in den hinteren Plätzen rangierte. Wind- und Solaranlagen produzieren weit weniger Strom als die Nachbarländer, selbst in Staaten im Norden der Schweiz wie die Niederlande und Belgien ist die Solarenergie höher im Kurs.
Die Zahlen der SES-Studie beziehen sich auf die Pro-Kopf-Produktion, den Anteil an der Gesamtstromproduktion sowie die Entwicklung in den letzten Jahren. Der Anteil der Fotovoltaik am gesamten Stromverbrauch beträgt heute in der Schweiz etwa 4 Prozent, jener der Windkraft liegt bei 0,3 Prozent. Die SES streicht besonders in ihrer Studie Österreich heraus, das ein Binnenland ist und ähnliche topografische Verhältnisse vorweist. Dort wird gut 11 Prozent der Stromnachfrage mittlerweile durch Windkraft gedeckt. Die Fotovoltaik allerdings kommt wie in der Schweiz nur schleppend voran.
Auch wenn verschiedene Schätzungen teilweise weit auseinander liegen, so geht das Bundesamt für Energie davon aus, dass Fotovoltaik auf Hausdächern und -fassaden das Potential haben, mehr Strom zu liefern als gegenwärtig pro Jahr nachgefragt wird. Sonnen- und Windstrom müssen jedoch nicht nur den schrittweisen Ausstieg aus der Kernkraft kompensieren, sondern zusätzlich auch den Mehrbedarf, wenn Benziner und Dieselautos durch Elektrofahrzeuge und Ölheizungen durch Wärmepumpen ersetzt werden.
Doch wie sollen Solar- und Windkraft und Biomasse wie zum Beispiel Holzkraftwerke stärker gefördert werden? Die Revision des Energiegesetzes, das der Bundesrat anfangs April in die Vernehmlassung an Parteien und Organisationen geschickt hat, soll der Strombranche mehr Planungssicherheit geben. Denn die Fördermassnahmen für den Ausbau der erneuerbaren Energien laufen Ende 2022 und Ende 2030 aus.
Es fehlen Grossanlagen
Es fehlt laut verschiedenen Energieexperten vor allem an grossen Energieanlagen in der Schweiz. Die Energieproduzenten sind heute stark verunsichert, ob es sich überhaupt noch lohnt in solche Projekte zu investieren. Eine Untersuchung des Vereins Energie Zukunft Schweiz zeigt auf, dass Schweizer Energieversorger und Investoren in ausländische, erneuerbare Kraftwerke investiert haben, die jährlich etwa 11,5 Terawattstunden Strom produzieren. Das entspricht etwa der inländischen Strommenge von erneuerbaren Energiequellen (ohne Wasserkraft), die im aktuellen Energiegesetz als Ziel für 2035 festgelegt ist.
Dieses Ziel will die SES massiv erhöhen. «Wenn wir bis 2050 Netto-Null-Treibhausgasemissionen erreichen wollen, müssen wir den Ausbau massiv beschleunigen», sagt Felix Nipkow von der Energiestiftung. So sollen bis 2035 vor allem Sonnenkraft und Windenergie 35 -45 Terawattstunden Strom liefern. Das wäre etwa die Hälfte des Strombedarfs an erneuerbarer Energie, der gemäss Modellen notwendig wäre, um aus der Kernenergie und dem fossilen Zeitalter auszusteigen.
EU als Vorbild
Um dies umzusetzen, orientiert sich die SES stark an der Europäischen Union, die mit ihrer Finanzierungspolitik die Investitionssicherheit für Investoren verbessere. «Der Strommarkt bringt keine Sicherheiten mehr», sagt Nipkow. Bereits heute gibt es Tage, an denen eine Kilowattstunde Strom an der Börse praktisch keinen Wert mehr hat, sobald europaweit enorme Solar- und Windstromproduktionen zu einem Überangebot führen. Diese Situation wird sich weiter verstärken, wenn der Anteil dieser Stromquellen weiter steigt. Viele EU-Staaten gewähren deshalb Minimalvergütungen für neue Kraftwerke, um diese Preisschwankungen auszugleichen.
Auch die Allianz der Schweizer Energiewirtschaft , die aus den grossen Energieversorgungsunternehmen, den Stadtwerken und verschiedenen Branchenverbänden besteht, nimmt bei ihrem Lösungsvorschlag die EU als Vorbild. Sie will ergänzend zum Ausbau der Kleinanlagen, die im revidierten Energiegesetz weiterhin durch Investitionsbeiträge unterstützt werden soll, eine so genannte gleitende Marktprämie für Grossanlagen einführen. Davon profitieren würden Projekte, welche bei regelmässigen Ausschreibungen die tiefsten Energiepreise vorweisen. Sinken die Preise am Strommarkt unter deren Preisangebot, wird dem Produzenten die Differenz vergütet. Liegen die Marktpreise darüber, wird keine Prämie ausbezahlt. Dieses System soll über 20 bis 25 Jahre gewährleistet werden.
Energieproduzenten werden nur in der Schweiz investieren, wenn sie Sicherheiten sehen, insofern ist die Marktprämie eine Versicherungsprämie.»
Der Vorschlag des Bundesrates zur Revision des Energiegesetzes sieht ein solches Prämiensystem allerdings nicht vor. Er sieht in Investitionsbeiträgen einen grossen Anreiz, Energieproduzenten zu Investitionen in erneuerbare Energie zu bewegen. Er findet dabei Unterstützung durch das Energieunternehmen BKW, das als einziger grosser Energieproduzent nicht die Allianz unterstützt. Investitionsbeiträge seien als Anschubfinanzierung während einer Übergangsphase zu betrachten. Sie stellt sich gegen fixierte Abnahmepreise. Für Gianni Operto, Präsident der Dachorganisation der Wirtschaft für erneuerbare Energie und Energieeffizienz AEE, sind die Prämien jedoch keine Subventionen, sondern ein marktwirtschaftliches Instrument. «Wir brauchen in Zukunft viel inländischer Strom, Energieproduzenten werden jedoch nur in der Schweiz investieren, wenn sie Sicherheiten sehen, insofern ist die Marktprämie eine Versicherungsprämie.» Bei den Ausschreibungen werde schliesslich nur jenes Projekt den Zuschlag bekommen, welches das kostengünstigste Stromangebot mache. Das würde die «Verlierer» motivieren, sich zu verbessern.
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