Im Ocean Race um die WeltDie Schweiz gewinnt das Extremrennen – oder etwa doch nicht?
Nach 60’000 Kilometern um den Globus ist das Segelteam Holcim-PRB als Gesamterster im Ziel. Doch Gegner USA will nach einer Kollision Wiedergutmachung am grünen Tisch.
Sie waren fast 100 Tage auf See. Mehr als 60’000 Kilometer unterwegs. Auf sich allein gestellt im Kampf gegen Wind, Wellen – und vor wenigen Tagen sogar ein paar verwirrte Orcas. Zwei Boote stiessen vor Gibraltar mit Schwertwalen zusammen. Der Schreckmoment ging für Tier und Mensch glimpflich aus.
Nun sind die wagemutigen Seglerinnen und Segler der Weltumrundung Ocean Race zurück, und in der sogenannten Imoca-Klasse liegt am Ende eine Schweizer Jacht zuvorderst: Das Team von Holcim-PRB erreichte mit seinem gut 18 Meter (60 Fuss) langen Schiff am Dienstagmittag den Zielhafen von Genua als Dritter und hat damit auf der letzten von sieben Etappen genug Punkte gesammelt, um im Gesamtklassement die Führung zu übernehmen. Noch nie hat eine Schweizer Crew das Ocean Race gewonnen. Holcim-PRB ist sogar – wie einst Alinghi am America’s Cup – das erste Siegerschiff aus einem Binnenland.
Oder besser gesägt: wäre.
Denn offiziell ist der Sieg des Schweizer Boots noch nicht, und es ist sehr gut möglich, dass ihn Holcim-PRB am grünen Tisch wieder verliert. Grund: Das zweitplatzierte US-Team 11th Hour Racing musste die siebte und letzte Teilstrecke der Weltumsegelung von Den Haag nach Genua kurz nach dem Etappenstart aufgeben, nachdem es vom letztplatzierten Team Guyot gerammt worden war.
11th Hour verlangte daraufhin Wiedergutmachung, denn die US-Crew war an der Kollision unschuldig. Wiedergutmachungen sind nicht unüblich im Segelsport, festgehalten in Artikel 62 der Regeln zum Wettsegeln. Deshalb haben die Organisatoren alle Teams zu einem gemeinsamen Treffen am Donnerstag in Genua aufgeboten. Danach wird eine Jury über das endgültige Siegerteam entscheiden.
Wie das deutsche Fachmagazin Yacht.de spekuliert, könnte den Amerikanern nachträglich eine gewisse Anzahl Punkte zugesprochen werden. Zum Beispiel die durchschnittliche Punktzahl in den vorangegangenen sechs Etappen. Oder die durchschnittlichen Rangpunkte. In beiden Fällen würden sie Holcim-PRB wohl wieder überholen: 11th Hour Racing war so konstant wie kein anderes Team gewesen und hatte das Ocean Race bis zur zweitletzten Etappe angeführt.
Der bekannte deutsche Skipper Boris Herrmann, der mit seinem Team Malizia die schwierigen Bedingungen in der Schlussphase im Mittelmeer am besten meisterte und mit einer Route nah an der Küste am Dienstagnachmittag als erstes Boot in Genua ankam, sagt: «Der Crash hat am Ende die Musik aus dem Rennen genommen. Ansonsten hätten wir zumindest theoretisch noch um Platz zwei spielen können. Und Holcim-PRB um Platz eins. So muss es 11th Hour Racing gewinnen.»
Mastbruch und Übergriffe
Der ungewisse Ausgang des Rennens passt zu den turbulenten sechs Monaten, die jetzt hinter Holcim-PRB liegen. Mit Skipper Kevin Escoffier am 15. Januar in Alicante gestartet, hat die Schweizer Crew die ersten beiden Teilrennen gewonnen und auch auf der längsten Etappe von Kapstadt über Kap Hoorn bis nach Brasilien überzeugt. Danach begannen die Probleme. Kurz nach dem Start zur vierten Etappe von Brasilien in die USA erlitt die gut 18 Meter lange Einrumpfjacht Mastbruch, der in Rio de Janeiro repariert werden musste. Die Folge war die Aufgabe der Teilstrecke.
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Die Rückkehr ins Rennen gelang. Auf der fünften Etappe von Rhode Island ins dänische Aarhus stellte Holcim-PRB einen neuen Distanz-Weltrekord für Einrumpfboote auf, indem es in 24 Stunden 640,91 Seemeilen zurücklegte, über 1185 Kilometer. Der Tiefpunkt folgte nach der Ankunft in Aarhus: Der französische Skipper Escoffier gab überraschend seinen Abgang bekannt. Grund dafür soll übergriffiges, aufdringliches Verhalten gegenüber einem Teammitglied während des Aufenthalts in den USA gewesen sein. In der Folge meldeten sich weitere Frauen, die sich öffentlich über Escoffier beschwerten.
Dessen Landsmann Benjamin Schwartz übernahm den Lead auf der Jacht für die letzten beiden Etappen entlang der europäischen Westküste – und vollendete trotz Sorgen und Flaute im Mittelmeer die Weltumsegelung mit dem ersten Platz. Bis jetzt zumindest.
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