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Meinung

Leitartikel zur Europapolitik
Die Schweiz belügt sich selbst

Von wegen «Befreiungsschlag»: Höhenfeuer der SVP zum Ende des EU-Rahmenabkommens im Juni 2021.
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Es war das erste richtige Treffen zwischen der Schweiz und der EU nach dem abrupten Abbruch der Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen. Ein Neuanfang, ein Aufbruch.

Und dann war es halt doch wie immer. Die ewig gleichen Muster der Europapolitik.

Nachdem Maros Sefcovic in Brüssel Ignazio Cassis empfangen hatte, stellte der EU-Kommissar klar: Einem neuen politischen Dialog stimmt die EU nur zu, wenn die Schweiz bis zum nächsten Treffen im Januar eine Zusage macht, dass sie auch bereit ist, zur Lösung der alten Streitfragen beizutragen – darunter die dynamische Rechtsübernahme und die Streitschlichtung.

Ein Systemversagen

So weit die Ansage der EU. Die Reaktion aus der Schweiz: Entrüstung, Abwehrhaltung, Realitätsverweigerung. Eine Deadline sei bei seinem Gespräch mit Sefcovic kein Thema gewesen, behauptete Aussenminister Cassis im Interview mit dieser Zeitung: «Was er nachher kommuniziert hat, hatte relativ wenig mit unserem Treffen zu tun.» Kurz: Cassis stellte den Vizepräsidenten der EU-Kommission als Fabulierer hin.

Dabei weiss Cassis, dabei wissen alle in Bern: An der grundsätzlichen Haltung der EU ist nichts neu. Schon lange ist klar, was Brüssel für die weitere Teilnahme der Schweiz am europäischen Binnenmarkt will.

Wer das verdrängt hat, kann es nachlesen. Meine Kollegen Christoph Lenz und Philipp Loser haben das Systemversagen der Schweizer Europapolitik im aktuellen «Magazin» nachgezeichnet. Darin kommt Eugen David zu Wort, der frühere CVP-Ständerat, der seinen Kolleginnen und Kollegen schon während einer Ratsdebatte im März 2011 die Warnung mitgab: Ohne «grosse institutionelle Neuordnungen» werde der bilaterale Weg keine Zukunft haben.

Redeten erstmals miteinander, aber offenbar aneinander vorbei: Ignazio Cassis und Maros Sefcovic.

Die Europadebatte der vergangenen Jahre ist eine Geschichte der Selbstlügen. Die neueste stammt von diesem Frühling. Als der Bundesrat das Rahmenabkommen beerdigte, wurde das mancherorts als «Befreiungsschlag» gefeiert. Dabei zeigten die Aussagen Sefcovics von dieser Woche: Nur weil die Schweiz nicht mehr über die Fragen reden will, die zum Ende des Abkommens führten, sind diese Fragen nicht verschwunden.

Wie es herauskommt, wenn man Druck einfach aussitzt, zeigt das Ende des Bankgeheimnisses.

Die zweite, ähnlich gelagerte Selbstlüge: Es mag zwar Probleme mit der EU geben, aber die kann man ignorieren. Dabei treten die Folgen des Stillstands längst offen zutage. Schweizer Wissenschaftlerinnen bleiben von den europäischen Forschungsprogrammen ausgeschlossen. Neue Schweizer Medizinprodukte sind in der EU nicht mehr automatisch zugelassen. Das dringend nötige Stromabkommen lässt weiterhin auf sich warten.

Der Versuch, Druck einfach auszusitzen: Wie das herauskommt, weiss man in der Schweiz eigentlich schon seit dem Ende des Bankgeheimnisses.

Die dritte Selbstlüge: Die bilateralen Beziehungen finden zwischen zwei gleich starken Partnern statt. Gewiss: Die Schweiz braucht sich nicht kleinzumachen. Sie ist für die EU eine wichtige Handelspartnerin. Doch sie hat eben auch Interessen, die sich nicht ohne Einverständnis der EU durchsetzen lassen. Die Union weiss das, das gibt ihr Macht. Und alles Brusttrommeln, alle Sonntagsreden über Souveränität und Selbstbestimmtheit können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schweiz schon heute minutiös so viel EU-Recht kopiert, dass man von einem halbkolonialen Verhältnis sprechen könnte.

Ein Ticket, keine Almosen

Dass Aussenminister Cassis das nicht ausspricht, ist kein Wunder. Seine FDP macht zur Regelung der Beziehung mit der EU nach wie vor Vorschläge, von denen klar ist, dass sie nirgends hinführen – darunter die Idee, strittige Fragen der Rechtsübernahme innerhalb einzelner Dossiers zu lösen. Dasselbe gilt für die Mitte-Partei. Die SP schliesslich ist in der Europafrage so gespalten, dass sie als politische Kraft ein Ausfall ist.

Und so verharren alle in der Defensive. Dabei gäbe es Wege, das zu ändern, zumindest kurzfristig. Der Bundesrat könnte gegenüber der EU anerkennen, dass die Schweiz vom heutigen Arrangement enorm profitiert – und sich deshalb zu regelmässigen Beitragszahlungen verpflichten, so wie das Norwegen schon lange macht.

Eine Verpflichtung des Bundesrates, regelmässige Zahlungen an die EU zu leisten, hätte auch innenpolitische Vorteile.

Keine vereinzelten «Osthilfe»-Milliarden also, viel eher ein Paradigmenwechsel: Die Schweiz bezahlte nicht aus angeblicher Grosszügigkeit, sondern als Preis für die Teilnahme am grössten Binnenmarkt der Welt. Für die EU würde es so wenigstens schwieriger, die Schweiz bei der Forschungskooperation oder der Börsenanerkennung zu diskriminieren. Den Urkonflikt über die Rechtsübernahme würde das auch nicht lösen. Aber innenpolitisch gäbe ein solcher Schritt der alten Europa-Allianz die Möglichkeit, die Reihen zu schliessen.

Es wäre ein schweizerischer Weg, ein pragmatischer. Und er würde es uns erlauben, zu Hause in Ruhe mit einigen Selbstlügen aufzuräumen.

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