Präsidentenwahl im IranDie Revolution frisst ihre Funktionäre
In den Augen der Iraner ist der Hardliner Ebrahim Raisi so gut wie gewählt. Den Weg zur Urne wollen sie sich deshalb sparen. Zum Ärger des Regimes.
Die Fernsehdebatten zogen schon vor der ersten Sendung am Samstag Spott in den sozialen Medien auf sich. Gepostet wurden Bilder der Kandidaten für die Präsidentenwahl, die an allen Pulten des Studios denselben Mann zeigen: Ebrahim Raisi (60), Chef der Justiz und Wunschkandidat des obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei. Denn der Hardliner tritt am 18. Juni, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, ohne ernst zu nehmende Konkurrenz an.
Das liegt am Wächterrat, einem demokratisch nicht legitimierten Gremium. Laut Verfassung prüft er alle vom Parlament beschlossenen Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem Islam – und alle Kandidaten für politische Ämter auf Linientreue. Von den 592 Bewerbern, die sich beim Innenministerium registriert hatten, disqualifizierte der Rat nicht nur alle 40 Frauen, sondern auch die Kandidaten aus dem moderaten und reformorientierten Lager des Regimes, die Raisi hätten gefährlich werden können.
Der Wächterrat braucht keine Begründung
Der als pragmatischer Konservativer geltende Präsident Hassan Rohani, gegen den Raisi 2017 in der ersten Runde krachend verloren hatte, darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren. Als sein möglicher politischer Erbe hatte sich Ali Larijani positioniert, Spross einer der einflussreichsten Politikerfamilien im Iran. Er hatte seine Karriere im Lager der ultrakonservativen Prinzipalisten begonnen, war Parlamentspräsident und zuvor Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates und damit auch der Atom-Unterhändler des Iran. Er wollte als Unabhängiger antreten, doch der Wächterrat erachtete ihn für ungeeignet.
Der Wächterrat veröffentlicht keine Begründung, auch sind die Kriterien unklar, die er seinen Entscheidungen zugrunde legt. Offenkundig ist dagegen, wer politisch den Ton vorgibt: Die sechs Kleriker des zwölfköpfigen Rats benennt der oberste Führer, die sechs Juristen wählt das Parlament auf Vorschlag des Justizchefs. Das ist Raisi, über dessen Amt wiederum der oberste Führer bestimmt – Hardliner unter sich.
Schon vor der Parlamentswahl im Februar 2020 hatte der Wächterrat so viele reformistische und moderate Kandidaten disqualifiziert, dass eine Mehrheit für die Hardliner feststand, bevor das erste Wahllokal öffnete. Die Iraner gingen daraufhin überwiegend nicht zur Wahl: Die Beteiligung brach um fast 20 Prozentpunkte auf 42,5 Prozent ein, der niedrigste Wert seit Bestehen der Islamischen Republik.
Angst vor zu wenig Wählern
Das Establishment der Islamischen Republik hat die Beteiligung an der Wahl, nicht deren Ergebnis, zum Gradmesser der Legitimität des Regimes erklärt. Bei der Parlamentswahl 2020 machte Khamenei noch die «Propaganda der Feinde des Iran» verantwortlich: Sie hätten die Bedrohung durch das Coronavirus übertrieben, um die Menschen von der Wahl abzuhalten – was heute wie blanker Zynismus klingt. Nun fürchtet er offenkundig ein ähnliches Desaster bei der weit bedeutenderen Präsidentenwahl. Manche würden «aus absurden Gründen» erwägen, ihre Pflicht zur Teilnahme an der Wahl nicht wahrzunehmen, warnt er.
Und er verband damit einen äussert ungewöhnlichen, harschen Rüffel für den Wächterrat: «In dem Auswahlprozess wurde einigen Kandidaten unrecht getan», sagte Khamenei. Es seien unwahre Dinge über manche Bewerber und deren Angehörige verbreitet worden. «Ich rufe die verantwortlichen Körperschaften auf, ihre Ehre wiederherzustellen», sagte er.
Umstrittene Themen wie das Atomabkommen oder der Umgang mit den sozialen Medien wurden ausgespart.
Im Iran wurde das vor allem als Verweis auf Attacken der Hardliner auf Larijani gewertet, etwa mit Plakaten, die dessen Verwandte zeigen, die im «feindlichen Ausland» leben, unter ihnen seine Tochter. Und als indirekte Weisung Khameneis an den Wächterrat, die Entscheidung zu revidieren. Ein Sprecher des Wächterrats erklärte, Anordnungen des obersten Führers seien endgültig und das Gremium nicht über Fehler erhaben. Er kündigte eine Überprüfung an, revidiert wurde der Ausschluss aber bislang nicht.
Und so traf Raisi am Samstag im Fernsehstudio nur auf sechs Konkurrenten, vier von ihnen wenig aussichtsreiche Hardliner. Daneben dürfen ein wenig bekannter Reformist und Zentralbankchef Adbolnasser Hemmati antreten, der als moderater Technokrat gilt. Viele Iraner lasten ihm die rasende Entwertung der Landeswährung an. Umstrittene Themen wie die Zukunft des Atomabkommens mit den USA oder der Umgang mit den im Iran zwar verbotenen, aber einflussreichen sozialen Medien wurden ausgespart. Khamenei hatte sie zuvor als «uninteressant» bezeichnet. Umfragen staatlicher Institute legen nahe, dass viele Iraner inzwischen die Wahl genauso sehen.
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