Khamenei macht «Feinde Irans» für Proteste verantwortlich
Nach über 20 Toten und Hunderten Verhaftungen hat sich erstmals der geistliche Führer Irans zu den Unruhen im Land geäussert.
Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei hat die «Feinde» des Landes beschuldigt, hinter den derzeitigen Protesten zu stehen. «Die Feinde haben sich vereint und nutzen all ihre Mittel, ihr Geld, ihre Waffen, Politik und Sicherheitsdienste, um dem islamischen Regime Probleme zu bereiten», hiess es heute in einer im Staatsfernsehen veröffentlichten Erklärung Khameneis mit Blick auf «die Ereignisse der vergangenen Tage».
Khameinis Worte stehen im Widerspruch zur moderaten Rede des iranischen Präsidenten Hassan Rohani, der am Montag bei einer Krisensitzung im Parlament sagte, es wäre ein Fehler die Proteste nur als ausländische Verschwörung einzustufen. «Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten.» Er kritisierte damit indirekt die Hardliner im Klerus, die seine Reformen blockieren. Rohani gab zudem zu, dass die Regierung die Lage nicht mehr völlig kontrolliere.
«Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten.»
Khamenei äusserte sich erstmals zu den Protesten, die am Donnerstag in der zweitgrössten iranischen Stadt Maschhad begonnen und sich dann auf das ganze Land ausgebreitet hatten. Sie richteten sich zunächst vor allem gegen die hohe Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen. Inzwischen zielt die Kritik gegen die Führung des islamischen Staates. Bislang wurden gemäss dem staatlichen Fernsehsender Irib 21 Menschen getötet, unter ihnen 16 Demonstranten.
Bilder: Strassenproteste im Iran
In der Hauptstadt Teheran sind seit dem Wochenende 450 Menschen festgenommen worden. Am Samstag seien es 200 gewesen, am Sonntag 150 und am Montag 100, sagte der stellvertretende Sicherheitschef von Teheran, Ali Asghar Nasserbacht, der Nachrichtenagentur Ilna.
Regierung sperrt verschlüsselten Messengerdienst
Irib hatte zuvor berichtet, dass in der Nacht auf heute ein Revolutionswächter der Stadt Nadschafabad im Zentraliran von Demonstranten getötet worden sei. Er sei erschossen worden. Nach Angaben von Irib beweise die Tat, dass einige der Demonstranten bewaffnet seien. Die Revolutionswächter sind Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden, einer paramilitärischen Organisation zum Schutz des Systems.
In sozialen Netzwerken wird behauptet, dass die Polizei in Dutzenden Städten auf die Demonstranten schiesse; es habe am Montag erneut Tote gegeben. Diese Berichte liessen sich jedoch nicht unabhängig überprüfen.
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Angesichts der Proteste im Land hat die Regierung die Handy-App des Messengerdienstes Telegram blockiert. Telegram garantiert seinen Nutzern die vollständige Verschlüsselung: Nachrichten, Videos und Fotos können per Handy an einzelne Kontakte oder ganze Gruppen geschickt werden, ohne dass Behörden wie Geheimdienste einfach darauf zugreifen können.
Nach Augenzeugenberichten griff die Polizei in Teheran mit Wasserwerfern und Tränengas ein. Es sind die grössten Demonstrationen in dem Land seit der blutig niedergeschlagenen Protestbewegung von 2009 gegen die Wiederwahl des damaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad.
Der lange Schatten der Grünen Bewegung
Die Ereignisse von damals haben ein Trauma in der iranischen Gesellschaft hinterlassen. Für die konservative Führung sind die Massenproteste von 2009 eine bleibende Warnung, welches Protestpotenzial im Land besteht. Viele Iraner aber haben mit der gewaltsamen Niederschlagung der Grünen Bewegung die Hoffnung verloren, auf der Strasse Veränderungen erreichen zu können.
Besonders die Angehörigen der relativ gut situierten urbanen Mittelschicht, die damals für politische Reformen und soziale Freiheiten auf die Strasse gegangen waren, schrecken bis heute vor Protesten zurück. Es sind denn auch nicht sie, die dieses Mal die Proteste anführen, sondern vor allem junge Leute aus den Provinzstädten, die wenig Zukunftschancen und wenig zu verlieren haben.
Bilder: Die Grüne Bewegung (2009)
Für sie scheint es weniger um Demokratie und Bürgerrechte zu gehen, als um hohe Lebensmittelpreise, Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit - ein Thema, das von den Reformern oft vernachlässigt worden ist. Anders als 2009 scheint es auch keine klaren Führungsfiguren zu geben, und die meisten Reformer haben bisher vermieden, sich hinter die Proteste zu stellen.
Seit 1989 der unangefochtene Führer
An Ayatollah Ali Khamenei kommt im Iran niemand vorbei – noch nicht einmal die gewählten Staatsführer. Denn die Machtstruktur basiert seit der Islamischen Revolution von 1979 auf dem Wali-Faghih-System, der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten. Die Verfassung bestimmt den gewählten Wali-Faghih ideologisch und politisch zur Nummer eins.
Nach der Revolution war das zehn Jahre lang Ayatollah Ruhollah Chomeini. Als der 1989 starb, wählte der Expertenrat – das führende Gremium der Kleriker – Ayatollah Ali Khamenei zu seinem Nachfolger.
Seitdem ist Khamenei der unangefochtene Führer im Lande. Er hat in allen strategischen Belangen das letzte Wort. Zwar gibt es auch das vom Volk direkt gewählte Parlament und den Staatspräsidenten. Doch vor den demokratischen Wahlen steht der Wächterrat, der Khamenei untergeordnet ist. Dieser Rat aus jeweils sechs Klerikern und Rechtsexperten prüft die Treue aller Kandidaten zum Wali-Faghih. Und er bestätigt alle Beschlüsse des Parlaments.
Iranischer Generalstaatsanwalt warnt Demonstranten scharf
Der iranische Generalstaatsanwalt Mohamed Dschafar Montaseri hat Demonstranten vor harschen Konsequenzen gewarnt. «Es ist Schluss mit lustig», sagte Montaseri heute nach Angaben der Nachrichtenagentur Ilna.
Er warnte «Krawallmacher» und sagte, dass die Justiz in enger Zusammenarbeit mit der Polizei konsequent gegen sie vorgehen und sie vors Gericht stellen werde. Der Geheimdienst kündigte heute an, einige Unruhestifter seien verhaftet und weitere identifiziert worden. Weitere seien «im Visier» der Geheimdienstermittler. Genaue Details gab der Geheimdienst nicht an, Beobachter befürchten jedoch über tausend Verhaftete landesweit.
sda/ap/ij
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