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Interview mit der obersten Psychiaterin
«Die Regeln müssen verschärft werden»

«Es geht am Ende um das Prinzip und um die Glaubwürdigkeit»: Fulvia Rota, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie.
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Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und betreffen rund jede dritte Person im Laufe ihres Lebens. Die offizielle Behandlungsempfehlung bei Depressionen der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP), der Fulvia Rota vorsteht, hat deshalb eine wichtige Funktion. Doch wird darin seit Jahren ein umstrittener Gentest propagiert, der als wissenschaftlich schlecht belegt gilt.

Zudem besteht ein Interessenkonflikt: Die Hauptautorin der entsprechenden offiziellen Behandlungsempfehlung, Edith Holsboer-Trachsler, ist die Ex-Frau des Testanbieters Florian Holsboer und war nicht in Ausstand getreten. (Wir haben darüber berichtet.)

Frau Rota, finden Sie diese Verbandelung nicht sehr befremdlich?

Man kann nicht anders, als dies so zu bezeichnen. Aus meiner Sicht ist diese Konstellation wirklich ein Problem. Ich bin dezidiert der Meinung, dass der Hauptautor oder die Hauptautorin von Behandlungsempfehlungen keinen Interessenkonflikt haben darf. Ich präsidiere die SGPP seit zwei Jahren und war bei der Erstellung der Empfehlungen, die 2016 veröffentlicht wurden, nicht dabei. Aber offensichtlich wurde damals nicht genau hingeschaut.

Der ABCB1-Gentest, um den es geht, war zwar ein Hoffnungsträger, aber ob er in der klinischen Praxis wirklich etwas bringt, war damals und ist bis heute nicht klar. Hätte er in der Empfehlung überhaupt erwähnt werden dürfen?

Wenn er so prominent dargestellt wird, wie das tatsächlich geschehen ist, muss die Studienlage zur klinischen Relevanz deutlich besser wiedergegeben werden. Ein Hinweis auf einen Hoffnungsträger kann meiner Meinung nach grundsätzlich durchaus sinnvoll sein. Aber eher am Ende einer Behandlungsempfehlung und mit einer klaren Einordnung der unklaren Studienlage. Zudem sollten nicht einzelne Produkte hervorgehoben werden. Es gibt meines Wissens ja auch noch vergleichbare Biomarker neben dem ABCB1-Test, die dann hätten erwähnt werden müssen.

Das alles wirft ein schlechtes Licht auf die SGPP und letztlich die Schweizer Psychiatrie insgesamt. Wird die Empfehlung überarbeitet?

Hier muss ich relativieren: Es war schon im September und somit vor Erscheinen des Artikels beschlossen worden, die Empfehlung zu überarbeiten. Das ist das übliche Vorgehen, denn solche Empfehlungen werden in der Medizin nur alle paar Jahre revidiert, im Schnitt alle fünf bis sechs Jahre. Das Gremium, welches das übernehmen wird, ist aber noch nicht zusammengestellt. Die Regeln müssen auf jeden Fall verschärft werden, auch wenn wie im Fall des ABCB1-Tests Patienten ja nicht zu Schaden kommen können. Es geht am Ende um das Prinzip und um die Glaubwürdigkeit. Diese Diskussionen werden auch im Vorstand der SGPP geführt. Dass wir es schaffen, in diesem Bereich Behandlungsempfehlungen zu erstellen, bei denen unter den Autorinnen und Autoren kein einziger Interessenkonflikt besteht, ist allerdings nicht realistisch und kann auch nicht das Ziel sein.

Wieso?

Wenn es um Behandlungen mit Medikamenten geht, ist es wichtig, dass bei den Empfehlungen Fachleute von den Universitätsspitälern mitarbeiten, die auch forschen. Das gilt für die Medizin generell. Ohne Pharmaindustrie gibt es nun mal keine Medikamentenforschung, nicht nur in der Psychiatrie. Die Pharma ist angewiesen auf den Zugang zu den Patienten, und die Universitäten haben nicht genügend Mittel, diese Forschung allein zu stemmen. Leider sind aber die Interessen der Pharma und der Patienten nicht zwangsläufig deckungsgleich.

Wie wollen Sie mit diesem Dilemma umgehen?

Als Erstes wäre es wichtig, dass wie bis anhin alle in der Arbeitsgruppe, die an einer Empfehlung mitarbeiten, ihre Interessenbindungen zu Beginn deklarieren. Diese Transparenz reicht aber nicht aus. Deshalb bin ich der Meinung, dass im Gremium eine Mehrheit keine solchen Bindungen haben darf. Auch braucht es eine Ausgewogenheit, damit die verschiedenen Bereiche innerhalb der Psychiatrie vertreten sind. Das würde bedeuten, dass zum Beispiel bei der Erarbeitung der Empfehlungen zur medikamentösen Behandlung der Depression auch jemand aus dem Bereich Psychotherapieforschung beteiligt sein muss. Gut wäre es zudem, wenn Dritte die Zusammensetzung des Gremiums und später auch die Behandlungsempfehlungen extern beurteilen würden.

Dann wird es künftig bei einer Überarbeitung auch eine persönliche Verstrickung, wie bei der aktuellen Erstautorin, nicht mehr geben?

Nein, solche Interessenkonflikte dürfen nicht mehr möglich sein.

«In einer Arbeitsgruppe, die Empfehlungen ausarbeitet, dürfen schlicht keine Leute sein, die Honorare für Beratungstätigkeiten bekommen oder Profit aus der Empfehlung ziehen könnten.»

Zumindest einer der Autoren der fraglichen Behandlungsempfehlungen erhält bekanntermassen hohe Honorare von diversen Pharmafirmen für Beratungen und Vorträge, in den letzten fünf Jahren waren es insgesamt fast 200’000 Franken. Ist man da trotz fachlicher Qualifikation unbefangen genug?

Ich finde generell, dass Pharmagelder nicht an eine einzelne Person fliessen sollten, sondern an die Klinik oder Forschungseinrichtung, die dann das Geld beispielsweise in Studien oder in medizinische Geräte investiert. In einer Arbeitsgruppe, die Empfehlungen ausarbeitet, dürfen schlicht keine Leute sein, die Honorare für Beratungstätigkeiten bekommen oder Profit aus der Empfehlung ziehen könnten, zum Beispiel mit Aktien.

Ist in der Psychiatrie das Bewusstsein für die Problematik von Interessenbindungen und Verstrickungen genügend vorhanden?

Das Bewusstsein ist auf jeden Fall vorhanden, auch im SGPP-Vorstand. Es gibt heute generell nicht wenige Mediziner, denen der Einfluss der Industrie grosses Unbehagen bereitet – obwohl sie gleichzeitig wissen, dass es nicht ohne geht. Denn das lässt sich nicht wegdiskutieren: Die Pharmaindustrie ist sehr wichtig für die Behandlung von Krankheiten, auch in der Psychiatrie. Ich möchte nicht in Zeiten zurück, in denen es keine Psychopharmaka gab. Möglicherweise ist aber die Sensibilität gegenüber Verstrickungen wieder etwas gesunken. Transparenz allein genügt ganz offensichtlich nicht. Vielmehr kann diese zu einer Art Selbstläufer werden, die ohne Konsequenzen bleibt. Das betrifft im Übrigen die ganze Medizin, nicht nur die Psychiatrie.

Immerhin hat sich die Situation im Vergleich zu früher verbessert.

Das ist so. Als ich 1991 meine psychiatrische Praxis eröffnete, waren grosszügige Geschenke an der Tagesordnung. Das ist heute nicht mehr möglich. Auch die Standesordnung der FMH verbietet es den Mitgliedern, monetäre Vorteile zu versprechen oder entgegenzunehmen.

Der ABCB1-Test ist am Ende trotz allem vergleichsweise wenig durchgeführt worden. Glauben Sie, dass die SGPP-Behandlungsempfehlungen überhaupt von Ärzten genutzt werden?

Wir haben dazu keine Zahlen. Grundsätzlich sollten Behandlungsempfehlungen etwas sein, das mir als behandelnder Ärztin Orientierung gibt und mich über die nach aktuellem Stand besten Therapiemöglichkeiten informiert. Darum ist es wichtig, dass ich die verschiedenen Behandlungsempfehlungen sicher einmal gelesen habe.

Denken Sie, das wird gemacht?

Wir informieren unsere Mitglieder über neue Empfehlungen oder Überarbeitungen jeweils mit unserem Newsletter. Ich bin mir sicher, dass diese Empfehlungen in einem ersten Schritt gelesen werden. Aber wie häufig sich die Leute das später dann wieder anschauen, weiss ich nicht. Empfehlungen sind, anders als Leitlinien oder Richtlinien, nicht verbindlich.

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