Glaubensstreit in NeapelDie Pizza elettrica schmeckt fast echt
In Neapel streiten sie über die Tradition des Pizzabackens: Muss es ein Holzofen sein, oder geht auch der elektrische «Scugnizzonapoletano»?
Eigentlich ist schon die Frage unerhört, nahe am Sakrileg, und sie geht so: Darf sich auch eine Pizza aus einem elektrischen Ofen «Vera Pizza Napoletana» nennen, als wäre sie eben das: eine wahre neapolitanische Pizza?
Die Neapolitaner können in diesen Dingen sehr radikal sein, völlig zu Recht. In ihrer geschützten Urform kommt die Pizza aus einem Holzofen. Sie riecht und schmeckt auch ein bisschen nach Holz, aber bitte nur einen feinen Hauch, darum ist dessen Auswahl ein ständiges Politikum. Am meisten gebraucht: Eiche und Buche, deren Note ist nicht zu dominant. Im Holzofen soll es immer 485 Grad heiss sein, so braucht der Teig nur sechzig bis neunzig Sekunden, bis er gebacken ist. Er darf ruhig auch etwas anbrennen, vor allem am Rand, das gehört dazu. Die Pizzerien werben am Eingang mit ihrem «Forno a legna», dem Holzofen.
Nun aber hat ein alter kampanischer Ofenfabrikant, die Izzo Forni, ein elektrisches Gerät mit technischem Schnickschnack und einem Kupfergehäuse auf den Markt gebracht, von dem selbst eine der grossen Pizzalobbys in der Stadt sagt, es genüge den höchsten Ansprüchen der Traditionalisten.
«Einmal mehr hilft Innovation dabei, eine Tradition zu bewahren.»
«Scugnizzonapoletano» braucht fürs Backen nicht länger als ein Holzofen. Man hat ihn getestet, auch an Samstagabenden, in rasendem Akkordservice. Ging gut, die Pizza riecht und schmeckt offenbar auch ganz okay, fast echt. «Einmal mehr hilft Innovation dabei, eine Tradition zu bewahren», sagte Antonio Pace, Präsident der geneigten Associazione Verace Pizza Napoletana. Der Vereinigung gehören Hunderte Pizzerien überall auf der Welt an, ihr Wort ist also nicht ganz unwesentlich. Sie lässt den Ofen zu, aber zunächst nur diesen: den «Scugnizzonapoletano». Umweltfreundlicher sei so ein elektrischer Ofen schliesslich auch, und das ist ein gültiges Argument.
Weltkulturerbe Pizzabacken
Aber was wiegt schwerer, Kopf oder Herz? Die Associazione Pizzaiuoli Napoletani, wie die Vereinigung der Pizzabäcker Neapels heisst, sieht ihre ganze Kunst in Gefahr, bedrängt von schnödem Marketingdenken und von wirtschaftlichem Gewinnstreben. «Ein neapolitanischer Pizzabäcker zeichnet sich gerade auch darin aus, wie er seinen Ofen einheizt», sagte ihr Chef, Sergio Miccù. «Wir werden nicht zulassen, dass unsere Kunst sich nicht mehr unterscheidet vom beliebigen Pizzabacken, irgendwo auf der Welt.»
Die Kunst des Pizzabackens zählt seit 2017 zum «immateriellen Kulturerbe der Menschheit».
Das kämpferische Einstehen für die Tradition hat aber auch einen anderen Grund. Die Unesco und die EU, sagen wenigstens die «Pizzaiuoli», drohen schon damit, ihre Anerkennungsmarken zurückzuziehen, wenn nun plötzlich auch die elektrische Pizza neapolitanisch sein soll. Die Kunst des Pizzabackens zählt seit 2017 zum «immateriellen Kulturerbe der Menschheit». Und die «Pizza Napoletana» selbst steht seit zehn Jahren unter dem Gütesiegel «garantiert traditionelle Spezialität» oder g.t.S.
Dieser Kategorie gehören nur etwa sechzig Produkte an. Das Gütesiegel kommt mit Auflagen, sie sind in einem Regelkompendium genau definiert. Und da steht: «Das Backen der ‹Pizza Napoletana› g.t.S. erfolgt ausschliesslich in Holzöfen.»
Ausschliesslich also. Das Regelwerk übrigens stammt von der Vereinigung, die nun dem Elektroofen ihren Segen erteilt hat. Nichts ist mehr heilig.
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