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Mentale Gesundheit
Die Pandemie, über die niemand redet

Kevin Love (r.) von den Cleveland Cavaliers in einem NBA-Spiel Anfang März gegen die Denver Nuggets.

Kaum wurde der Saisonunterbruch in der NBA verkündet, wurde er schon aktiv: Er spende 100’000 Dollar, sagte Kevin Love, damit all jene Arbeiter, die abrupt um ihre Verdienstmöglichkeiten gebracht wurden, nicht plötzlich vor dem Nichts stünden. Mehr als 1000 Personen stehen bei Heimspielen der Cleveland Cavaliers jeden Abend im «Rocket Mortgage FieldHouse» – im selben Stadion spielt auch der Zuger Eishockeyaner Calvin Thürkauf in der American Hockey League – im Einsatz. Als Platzanweiser, Verkäufer an den Essensständen oder als Mitglieder der Reinigungscrew. Viele von ihnen verdienen brutto kaum mehr als die 8,7 US-Dollar, den Mindestlohn pro Stunde im Bundesstaat Ohio.

«Sie stehen mindestens 41 Mal pro Saison bei unseren Heimspielen im Einsatz», begründete Love seine Aktion, «viele von ihnen kenne ich mit Vornamen. Ich kann mir die Angst nur vorstellen, wie es ist, nicht zu wissen, ob und wann der nächste Gehaltscheck kommt.» Die Grossmut kann er sich leisten, 2018 verlängerte der heute 31-Jährige seinen Vertrag um vier Jahre, 120 Millionen US-Dollar fliessen in dieser Zeitspanne auf sein Bankkonto.

Schnell wird aber klar, dass es für ihn nicht nur eine symbolische Geste ist. Der Ausbruch einer solchen Pandemie sei weit mehr als nur ein medizinisches Phänomen, liess Love seine Instagram-Fangemeinde bereits am 13. März wissen: «Individuen und die Gesellschaft sind auf so vielen Ebenen davon betroffen, und Stigma und Fremdenfeindlichkeit sind nur zwei Aspekte davon. Es ist wichtig zu wissen, dass Leute mit einer mentalen Erkrankung bei weit verbreiteter Panik und Bedrohungen besonders anfällig sind.»

Es sind Worte, die deutlich machen, dass sich Kevin Love intensiv mit der Materie beschäftigt hat und er mehr als der Durchschnittsprofi über den Courtrand hinausdenkt. Dabei war der 2,03 Meter grosse Power Forward aus Kalifornien über viele Jahre auch ein Athlet, der eigentlich nur durch sportliche Taten von sich reden machte. Er gewann Olympia-Gold in London, wurde Weltmeister und an der Seite von LeBron James auch NBA-Champion. Der fünfmalige Allstar sprach auch freimütig über alle Basketball-Themen. Sobald es aber nicht um Assists, Rebounds oder Dunks ging, zog er es vor, sich zu schützen. Heute sagt er es so: «Die ersten 29 Jahre meines Lebens habe ich Probleme für mich behalten.»

Todesangst in der zweiten Halbzeit

Auslöser für die Veränderung war ein Novemberabend 2017. Die Cavaliers spielten zuhause gegen Atlanta. Kurz nach der Pause – sein Coach hatte gerade ein Time-out genommen – erlitt Love eine Panikattacke. «Mein Herz raste, und ich hatte plötzlich Angst, zu sterben», blickt er zurück. Er merkte, dass er auf keinen Fall ins Spiel zurückkehren konnte, und verschwand in die Garderobe. Später am Abend wurden Tests im Spital durchgeführt. Sie ergaben, dass ihm nichts fehlte.

Zwei Tage später kehrte er ins Team zurück, erzielte im nächsten Spiel 32 Punkte und hatte vor allem eine Sorge: Niemand sollte merken, dass es ihm schlecht gegangen war. Schwächen zu zeigen, sei für einen NBA-Profi nicht vorgesehen gewesen, offenbarte er später in einem Artikel für «The Players Tribune». Das Credo, dem er bislang immer gefolgt war, sei einfach gewesen: «Sei stark. Rede nicht über deine Gefühle. Übersteh deine Probleme alleine.»

Ich habe erst damit begonnen, mich richtig kennen zu lernen.

Kevin Love

Doch diesmal merkte er, dass er eine Grenze überschritten hatte. Und so tat er etwas, was er sich nie hatte vorstellen können: Er ersuchte um psychiatrischen Support. Rasch merkte er, dass ihm die Behandlungen gut taten. Vor allem auch, weil sie viel mehr als nur sein Leben als Basketballprofi thematisierten. «Viele andere Themen waren wichtiger, das war so erfrischend.»

Seither hat Love seine Einstellung radikal geändert. Er nützt jede Gelegenheit, um Themen bezüglich mentaler Verfassung in der Öffentlichkeit aufzubringen. Und er hat eine starke Stimme, allein auf Instagram zählt er 3,2 Millionen Follower. Als Experte auf dem Gebiet bezeichnet er sich selber nicht: «Ich habe erst damit begonnen, mich richtig kennen zu lernen. Aber meine Erfahrungen können vielleicht Leuten mit ähnlichen Problemen helfen.»

Mittlerweile hat auch ein halbes Dutzend weiterer Spieler ins Portemonnaie gegriffen. So spendet Giannis Antetokounmpo, der Liga-MVP von Milwaukee, ebenso 100’000 Dollar wie Love. Rudy Golbert, der erste NBA-Spieler, bei dem Covid-19 diagnostiziert wurde, stellt insgesamt sogar 500’000 Dollar zur Verfügung.

«Wir müssen zeigen, dass wir mehr sind als nur Athleten»

Love selber half auch, dass Mahlzeiten unbürokratisch an Spitalpersonal und Bedürftige überbracht wurden. Er wendet sich immer wieder an die Öffentlichkeit, trat in der «Today Show» auf und zeigt in Videos, wie man in dieser schwierigen Zeit erfolgreich gegen Lagerkoller ankämpfen kann – zum Beispiel, indem er alte Filme schaut oder regelmässige Trainingseinheiten zu Hause oder in der Natur absolviert. Und das «social distancing» dürfe man nicht zu wörtlich nehmen: «Auf keinen Fall darf man sich sozial isolieren. Redet mit den Leuten, seid nett zueinander. Versteht die Ängste des anderen, auch wenn ihr sie nicht teilt.»

Kevin Love wünscht sich, dass andere Sportler ihm nachfolgen: «Wir müssen zeigen, dass wir mehr sind als nur Athleten. Die psychischen Probleme sind eine Pandemie, über die niemand redet. Für mich gibt es keinen grösseren Dieb von menschlichem Potenzial.»

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