Ethik in der Corona-KriseDie Notfallanordnung ist dem Menschen zumutbar
Sibylle Berg und andere Prominente empören sich, weil Alten eine Auseinandersetzung mit Lebensgefahr und Lebensende empfohlen wird. Das ist unfair. Vor allem gegenüber den Alten.
Vor einigen Tagen wurde auf dieser Website ein Beitrag veröffentlicht, der sich mit Patientenverfügungen und Notfallanordnungen beschäftigte. Er enthielt zwölf Fragen, die bedenken sollte, wer eine Anordnung ausfüllen will.
Fragen wie: «Wären Sie bereit, sich in einer Notfallsituation auf der Intensivstation zusätzlich mit einer Beatmungsmaschine behandeln zu lassen?» Oder: «Wie gross ist Ihr Lebenswille auf einer Skala von 0 bis 10?»
Fragen, die Empörung und Spott provozierten, etwa bei der Schriftstellerin Sibylle Berg, der Regisseurin Katja Früh oder dem Psychoanalytiker Peter Schneider.
Handelte es sich um gefühlskalte «Sterbehilfetipps», wie sie Berg zufolge gerade in den Medien herumgeboten werden? Ist es zynisch, alten Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen nahezulegen?
Nein. Zynisch wäre es, Corona-Gefährdete nicht ernsthaft auf diese Fragen hinzuweisen. Sie womöglich im Unklaren zu lassen, dass sie medizinische Entscheidungen treffen können. Mit einer Verfügung oder Anordnung ermächtigen sich Gefährdete selber: Sie planen klaren Kopfs für den Moment, in dem ihnen das nicht mehr möglich ist.
Ein weiteres Argument für Patientenverfügungen und Noftfallanordnungen: Man bereitet sich – soweit das in der Stube eben möglich ist – auch mental auf das vor, was droht. Die Möglichkeit eines schweren Corona-Verlaufs, die Einlieferung in eine Intensivstation, die künstliche Beatmung. In der Schweiz starb bisher jeder zwanzigste positiv getestete Corona-Infizierte über 70, und knapp jeder fünfte Infizierte über 80 Jahre. Für die Alten ist das Virus eine reale Bedrohung. Ein Verharmloser, wer nicht über die Vorbereitung darauf reden will.
Ein dritter Punkt, der für Verfügung und Anordnung spricht, ist das Personal in den Spitälern. Ihm wurde in den letzten Wochen viel gedankt, der Begriff der Triage wurde allgemein bekannt: Was tun, wenn es nicht mehr für jede und jeden einen Platz auf der Intensivstation hat? Da ist eine seriöse Vorbereitung tausendmal mehr wert als jeder Applaus auf dem Balkon.
Soll die Behandlung weitergeführt werden, auch wenn man danach als schwerer Pflegefall im Rollstuhl sitzt? Sollen alle medizinischen Ressourcen mobilisiert werden, auch wenn sie für andere dann möglicherweise fehlen? Klüger, man beantwortet diese Fragen nicht erst auf der Intensivstation. Fairer, man überlässt sie nicht Ärzten und Angehörigen.
Die Wahrheit sei dem Menschen zumutbar, sagte die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Die Patientenverfügungen und Notfallanordnungen im Allgemeinen, das Nachdenken über den zum Glück unwahrscheinlichen, aber eben leider möglichen schweren Corona-Verlauf im Speziellen – sie gehören auch dazu.
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