Die neuen besten Freunde der Schweiz
Auch in Brüssel haben die Grünen an Gewicht gewonnen. Prominente Vertreter fordern nun, dass die EU weniger arrogant mit der Schweiz umspringt.
Der deutsche EU-Abgeordnete Sven Giegold kommt gerade vom Treffen mit Urs Bucher, dem Schweizer Botschafter bei der EU: «Ich habe ihm natürlich gesagt, dass ich nicht zur Schweiz-Delegation gegangen bin, um Unruhe zu Steuern und Geldwäschereifragen zu stiften», betont er im Café des EU-Parlaments. Ganz im Gegenteil, der Grünen-Politiker tritt an, um die EU im Streit um das Rahmenabkommen und den Lohnschutz zu mehr Flexibilität gegenüber den Schweizer Anliegen zu drängen.
Sven Giegold ist neu stellvertretender Vorsitzender der Delegation im EU-Parlament, die sich mit den Beziehungen zur Schweiz befasst und im neuen Parlament an Gewicht gewonnen hat. Die Beschwichtigung betreffend die Pläne des Grünen war beim Kennenlerntreffen mit dem Botschafter mit Blick auf die neue Aufgabe willkommen, denn bisher kennt man den Gründer von Attac Deutschland als unerbittlichen Kämpfer gegen das Bankgeheimnis und gegen Steueroasen. Und da geriet in der Vergangenheit öfter auch die Schweiz ins Visier.
«Stillstand hilft ja niemandem wirklich»
Und nun der Grünen-Politiker als neuer bester Freund der Schweiz? «Wir Grünen haben im Binnenmarkt- und im Auswärtigen Ausschuss schon länger Zweifel geäussert, ob die Verhandlungsstrategie der EU-Kommission beim Rahmenabkommen von Weisheit geprägt ist», sagt Giegold. Der Stillstand helfe ja niemandem wirklich. Und die Sanktion mit dem Entzug der Börsenäquivalenz sei die falsche Sprache in einem solchen Konflikt.
Er könne verstehen, dass die Schweiz als kleines und offenes Land ein Interesse habe, Leute am unteren Ende des Lohnniveaus zu schützen, sagt Sven Giegold. Die Schweiz habe vielen Menschen Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt gewährt. Das bringe neben Vorteilen natürlich auch Lasten.
«Ich will dazu beitragen, dass die EU und die Schweiz wieder zu dem Verhältnis kommen, das eigentlich angemessen ist.»
Der EU-Abgeordnete findet jedenfalls, dass die EU beim Lohnschutz auf die Schweiz zugehen könnte. Im Gegenzug könnte Brüssel zum Beispiel fordern, dass die Schweiz die fünfte Geldwäscherei-Richtlinie der EU übernimmt, sagt Giegold: «Gerade weil man weiss, dass die Schweiz direktdemokratisch organisiert ist, muss man einen Ausgleich der Interessen finden.»
Was will Sven Giegold konkret in der Schweiz-Delegation erreichen? «Ich will dazu beitragen, dass die EU und die Schweiz wieder zu dem Verhältnis kommen, das eigentlich angemessen ist.» Nämlich eines, das nicht nach jahrelangen aggressiven Verhandlungen eskaliere und am Ende sogar in Sanktionen münde. Sven Giegold will zurück zu einem Verhältnis, in dem die EU und die Schweiz gemeinsam am europäischen Haus weiterbauen.
Sven Giegold ist nicht der einzige prominente Schweiz-Versteher im EU-Parlament. Er fühle sich an das Theaterstück «Warten auf Godot» erinnert, hatte der EU-Chefunterhändler Christian Leffler unlängst gesagt und der Schweizer Regierung bei einer Anhörung im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments Verzögerungstaktik beim Rahmenabkommen vorgeworfen. Der deutsche Grünen-Abgeordnete Reinhard Bütikofer kritisierte im Ausschuss als Einziger den harschen Ton des hohen Beamten und dessen Vergleich mit dem Klassiker des absurden Theaters.
Hoffnung auf einen Neuanfang
«Leffler hat sich da unsensibel bis arrogant verhalten», sagt Bütikofer im Gespräch. Mit dem Godot-Vergleich habe der Chefunterhändler den Partner lächerlich gemacht. Als bisheriger Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei ist er auch im engen Kontakt mit den Schweizer Grünen und deren Chefin Regula Rytz.
Kürzlich hat Bütikofer zusammen mit Sven Giegold eine Schweizer Delegation von Parlamentariern sowie Gewerkschaftern empfangen und sich informieren lassen. Er habe verstanden, dass ohne flankierende Massnahmen die Zahl der schwarzen Schafe unter den europäischen Dienstleistern in der Schweiz wohl zunehmen würde, sagte Bütikofer und plädierte dafür, den Lohnschutz beim Rahmenabkommen auszuklammern.
Jetzt, da in Brüssel die neue EU-Kommission mit Ursula von der Leyen übernehme, bestehe die Chance für einen Neuanfang: «Politikfähigkeit versprechen und dann mit der Schweiz nicht klarkommen, das passt doch nicht zusammen», sagt der Europaparlamentarier mit Schweizer Wurzeln. Der Grossvater war einst aus Bütikofen im Emmental nach Deutschland ausgewandert.
Der SVP nicht in die Hände spielen
Überhaupt ist für das grüne Schwergewicht die Schweiz eine Referenz, nämlich wenn es darum geht, parlamentarische und direkte Demokratie zu verbinden: «Ich gehöre zu jenen Grünen, die Volksentscheide ein gutes Instrument finden», sagt Bütikofer. Und warnt davor, der Schweizerischen Volkspartei vor der Abstimmung über die sogenannte Begrenzungsinitiative im Mai in die Hände zu spielen. Es sei auch im Interesse der EU, den Konflikt um das Rahmenabkommen einvernehmlich abzuräumen: «Wir tun weder der EU noch der Schweiz einen Gefallen, wenn wir die Debatte über das Rahmenabkommen mit dem Makel belasten, dass dadurch der Lohnschutz abgebaut wird.»
Die Grünen sind inzwischen nicht die Einzigen, die jetzt zumindest ein Zeichen der Entspannung setzen möchten. Mittwoch nächster Woche empfängt in Strassburg die Schweiz-Delegation des EU-Parlaments ihre Kollegen aus dem National- und Ständerat. Geplant ist, dass die Präsidenten der beiden Delegationen in einer gemeinsamen Erklärung auf eine Deeskalation drängen, inklusive Freigabe der Schweizer Kohäsionsgelder und eines Appells an die EU-Kommission, den Entscheid zur Börsenäquivalenz zu überdenken. Beide Seiten wollen unterstreichen, dass man an eine einvernehmliche Lösung beim Rahmenabkommen glaubt.
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