Italiens Linke vor den WahlenDie Meister der Selbstverhinderung
Das streitsüchtige progressive Lager verpasste es, geeint bei den italienischen Parlamentswahlen anzutreten. So kann die extreme Rechte eigentlich nur gewinnen.
Italiens Linke geht völlig unter im Wahlkampfgetöse um die Postfaschistin Giorgia Meloni, und das hat sie sich zumindest zu einem Teil selbst zuzuschreiben. Einmal mehr präsentiert sich das progressive Lager heillos zerstritten. Täglich greifen sich ihre drei Subgruppen untereinander an, es wird dabei oft persönlich: Sie kämpfen ja auch um dasselbe Stück des Kuchens.
Am Ende aber, so legen es wenigstens alle Umfragen zu der Parlamentswahl vom 25. September nahe, kostet sie dieser unkoordinierte Auftritt wohl jede Chance auf einen Sieg. Das italienische Wahlgesetz, das sogenannte Rosatellum, ein Mix aus Majorz und Proporz, prämiert nämlich feste Grosskoalitionen, wie die Rechte eine bildet, übermässig stark und bestraft Einzelgänge, wie sie die Linke aufführt.
Drei ehemalige Premiers – das ist eher ein Nachteil
Da nutzt es der Linken auch nichts, dass sie prominente Figuren als Spitzenvertreter in ihren Reihen zählt, drei von ihnen waren schon einmal Premier: Enrico Letta, der Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico, Matteo Renzi, Gründer und Kopf der kleinen Zentrumspartei Italia Viva, und Giuseppe Conte, der «Capo politico» der früheren Protestbewegung Cinque Stelle.
Vielleicht ist es aber sogar eher ein Nachteil, dass sie schon regiert haben. Von Meloni heisst es, sie habe deshalb plötzlich einen so grossen Konsens im Volk, weil ihre Partei Fratelli d’Italia, gegründet 2012, noch nie in der Verantwortung gestanden und als einzige Partei auch in der ablaufenden Legislaturperiode an keiner Regierung teilgehabt habe.
Im Schatten Melonis – und mit ihr befreundet
Melonis wichtigster Rivale ist Letta, wenigstens auf dem Papier. Mit 23 Prozent der Wahlabsichten liegt der Partito Democratico in den jüngsten Umfragen nur etwa zwei Prozentpunkte hinter den rechtsnationalistischen «Brüdern Italiens». Aber eben: Letta tritt fast allein an, während Meloni die gesamte Rechte an der Seite hat.
Die zwei Politiker schätzen sich persönlich, und so fällt es Letta ganz offensichtlich schwer, Meloni hart anzugreifen: wegen des Restfaschismus in ihrer Partei, wegen ihrer politischen Nähe zum ungarischen Premier Viktor Orban, wegen der möglichen Gefahr für die italienische Demokratie. Er deutet das Risiko nur ein bisschen an. Offenbar ist er besorgt, dass sie sonst noch stärker in die Opferrolle schlüpft, die funktioniert in Italien immer.
Letta hatte einmal vorgehabt, mit Conte von den 5 Sternen in die kommenden Wahlen zu gehen, das Gebilde beider Parteien nannte sich «Campo largo», breites Feld. Das missfiel vielen Sozialdemokraten, war aber wohl mathematisch gesehen die einzige Möglichkeit, die vereinte Rechte um Meloni, Matteo Salvini von der Lega und Silvio Berlusconi von Forza Italia zu schlagen.
Dann aber leitete Conte mit einem eigensinnigen Sommermanöver den Sturz der Regierung von Mario Draghi ein. Damit war der Plan des «Campo largo» begraben. Man liess sich scheiden, im Bösen.
Die Eroberung des Südens
Conte hat seine Partei seitdem ganz links positioniert: 2018 regierte er noch mit Salvini. Nun gibt er den «Mélenchon Italiens», wobei das Original, der französische Linksaussen Jean-Luc Mélenchon also, ihm seine Nähe explizit versagt. Conte schafft es nun offenbar, im Süden Italiens verlorenen Boden wieder wettzumachen – vor allem dank des Bürgerlohns, der Parademassnahme der Cinque Stelle.
Die allermeisten Bezieher des «Reddito di cittadinanza» leben im Süden. Für manche Demoskopen könnten die Cinque Stelle dort gar grösste Partei werden, mit fast 25 Prozent der Stimmen. Im Zentrum und im Norden des Landes sind sie indes so stark eingebrochen, dass sie insgesamt bei etwa 12 bis 14 Prozent stehen. Zur Erinnerung: Die 5 Sterne hatten die Wahlen 2018 mit 33 Prozent gewonnen.
Als es mit Conte aus war, versuchte Letta, die Zentristen einzuwechseln – allerdings nicht Renzi, der hatte ihm 2014 das Amt des Ministerpräsidenten weggenommen. Zu viel ist kaputtgegangen. Letta wandte sich stattdessen an die Partei Azione von Carlo Calenda, einem ehemaligen Manager grosser Firmen und Industrieminister des Landes.
Calenda ist ein charismatischer und manchmal etwas impulsiver sozialliberaler Reformpolitiker. Man hatte sich eigentlich schon geeinigt. Dann aber wollte Letta auch noch die Linksaussen von Sinistra Italiana dabeihaben, die davor anderthalb Jahre lang gegen die Regierung Draghi gestimmt hatten.
«Zwei Gockel im selben Hühnerstall»
Da mochte Calenda aber nicht mehr mitmachen. Er zog sich zurück und verbündete sich dafür mit Renzi, der politisch gleich tickt wie er. Renzi überlässt dem mittlerweile populäreren Calenda die Bühne fast ganz. Die Zeitungen schreiben trotzdem: «Zwei Gockel tummeln sich im selben Hühnerstall.» Ihr Bündnis nennen sie «Terzo Polo», weil der Begriff «Centro», Zentrum, vielen Italienern auf die Nerven geht.
Renzi und Calenda wiederum sind erbitterte Gegner Contes, was die Sache natürlich kompliziert. Am Wochenende sagte Conte in einem Wahlkampfauftritt auf Sizilien, Renzi solle doch mal «ohne Leibwache» in den Süden kommen, worauf ihm dieser mafiöse Drohmethoden vorwarf: «Du bist nur ein halber Mann», sagte Renzi. Auf diesem Niveau läuft die Rivalität.
Je nach Erhebung bringt es der dritte Pol am rechten Rand des progressiven Lagers auf sechs bis acht Prozent. Azione und Italia Viva wollen auch den enttäuschten Wählern von Berlusconis Forza Italia eine neue Heimat anbieten. Da die zwei Parteien aber je voll sind mit früheren Mitgliedern des Partito Democratico, dürften ihre Stimmen vordringlich den Sozialdemokraten abgehen.
Die Animositäten untereinander wogen schwerer als der Wille, die extreme Rechte zu schlagen.
Für Letta ist das ein trübes Szenario. Summiert er nun die möglichen Stimmen seiner Partei mit denen von Sinistra Italiana, den Grünen und von +Europa der ehemaligen Aussenministerin Emma Bonino, die alle bei ihm mitmachen, kommt seine Allianz auf etwa 29 Prozent.
Das ist nicht einmal so wenig angesichts der Zerrissenheit der Linken, aber eben wohl nur in wenigen Fällen genug, um in Bezirken mit Majorzwahl gegen Kandidaten des rechten Bündnisses zu bestehen: Es gewinnt da, wer keine Konkurrenz aus dem eigenen Lager hat und eine Stimme mehr erhält als alle anderen Bewerber. Das war den Linken klar, von Beginn weg. Doch die Animositäten untereinander wogen nun mal schwerer als der Wille, die extreme Rechte zu schlagen.
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