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Missstände bei RTS
Die Mauer des Schweigens bricht

Das Frauenstreik-Kollektiv beim Westschweizer Radio und Fernsehen wirft der Unternehmensführung vor, Fälle von sexuellen Übergriffen vertuscht und eine Kultur des Schweigens geschaffen zu haben. 
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Mobbing, Übergriffe, sexuelle Belästigung: Beim Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) stehen gegen zwei Kadermänner und den ehemaligen Tagesschaumoderator Darius Rochebin schwere Vorwürfe im Raum (diese Zeitung hat darüber berichtet). Die Anschuldigungen wurden intern teils bereits früher untersucht. Die Untersuchungen blieben ohne Konsequenzen. Von einer «Mauer des Schweigens» schreibt die Zeitung «Le Temps», die die Fälle vor wenigen Tagen aufgedeckt hat.

Dass vieles im Dunkeln blieb, gestand letzte Woche auch der heutige SRG-Generaldirektor Gilles Marchand ein. Marchand, von 2010 bis 2017 RTS-Direktor, teilte der Belegschaft mit: «Ich bedaure, dass solche Fälle vorgekommen sind und dass sie nicht korrekt untersucht wurden.»

«Wir werden alles unternehmen, damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen.»

Jean-Michel Cina, SRG-Verwaltungsratspräsident

Toxische Dossiers werden nun nochmals geöffnet und von externen Experten geprüft. Der SRG-Verwaltungsrat lässt darüber hinaus abklären, ob Marchand in seiner Zeit als RTS-Chef Mobbing- und Belästigungsvorwürfe genügend nachgegangen ist. Medienministerin Simonetta Sommaruga liess sich letzte Woche vom SRG-Verwaltungsratspräsidenten Jean-Michel Cina persönlich über die Causa RTS informieren. Cina sagt: «Ich verurteile ein solches Verhalten auf das Schärfste, und wir werden alles unternehmen, damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen.»

Nun bröckelt die «Mauer des Schweigens» bei RTS auch in einem bisher unbekannten Fall. Es geht um die RTS-Talkshow «La grande lessive», die am 2. Dezember 2015 nach nur 12 Wochen abgesetzt wurde und bei beteiligten Journalisten tiefe Wunden hinterlassen hat. Vielen macht bis heute zu schaffen, dass ihre beliebte und erfahrene Kollegin Isabelle Nussbaum bereits in der ersten Woche nach Lancierung der Show ein Burn-out erlitt, aussteigen musste und sich von ihrer Depression nie mehr erholte. Zwei Jahre später beging die zweifache Mutter Suizid.

Recherchen dieser Zeitung bringen erstmals Licht in diesen tragischen Fall. Über den Todesfall informierte RTS-Direktor Pascal Crittin die Belegschaft am 2. Juli 2017. Er schrieb: «Ich habe die schmerzhafte Pflicht, Sie zu informieren, dass unsere Kollegin Isabelle Nussbaum uns gestern im Alter von 54 Jahren verlassen hat. (...) Unsere Gedanken sind bei jenen Kollegen, die viele Momente mit ihr erlebten und denen der Tod besonders zu schaffen macht.»

«Die RTS-Führung hat jegliche Verantwortung zurückgewiesen und uns zum Schweigen gebracht.»

RTS-Mitarbeiter

Isabelle Nussbaums ehemaligen Kollegen bei «La grande lessive» drehte nach Crittins Mail der Magen um. Längst Verdrängtes und nie Aufgearbeitetes drängte sich zurück ins Bewusstsein. Schuldgefühle tauchten auf. Ein nicht direkt involvierter, aber mit den Details vertrauter RTS-Mitarbeiter sagt: Nach Isabelle Nussbaums Tod habe man intern über ihr Burn-out reden, das Vorgefallene schonungslos aufarbeiten und auch die verantwortlichen Kader eruieren wollen, «doch die RTS-Führung hat jegliche Verantwortung zurückgewiesen und uns zum Schweigen gebracht».

Diesen Vorwurf weist RTS-Mediensprecher Christophe Minder auf Anfrage zurück. Gemäss Recherchen dieser Zeitung trugen vier Frauen die Hauptlast des neuen Talk-Formats, darunter Isabelle Nussbaum. Insgesamt arbeitete ein Dutzend Personen für die fünfmal pro Woche produzierte, halbstündige Sendung. Vom Team wiesen aber nur wenige Fernseh-, geschweige denn Studioerfahrung auf.

Konfuses Sendekonzept

Wer sich den Talk heute im RTS-Archiv ansieht, realisiert rasch: Das Konzept war konfus und funktionierte nicht. Eingeladene Studiogäste waren zu wenig redselig und redeten aneinander vorbei. Spannende Diskussionen ergaben sich kaum. Auch wurde über viel zu viele Themen auf einmal gesprochen. Die Einschaltquote war katastrophal. Isabelle Nussbaum, die verantwortliche Produzentin, musste die Sendung in der ersten Woche verlassen. In den Folgewochen gab es mehrere weitere Abgänge. Die Personalsituation spitzte sich dramatisch zu. Der Druck auf das Team wurde immer grösser.

Die Verbliebenen arbeiteten bis zur Erschöpfung, schliefen kaum noch und hielten sich teils nur dank der Hilfe von Psychopharmaka auf den Beinen. Konflikte brachen auf. Man deckte sich gegenseitig mit Vorwürfen ein. Am Ende implodierte die Equipe. Nach 12 Wochen brach die Moderatorin wegen Erschöpfung zusammen. Sie war nicht mehr arbeitsfähig. Der Talk wurde notfallmässig aus dem Programm gekippt und am Ende ganz gestrichen.

Junge Talente verheizt

Haben die RTS-Programmverantwortlichen die Sendung mit der nötigen Sorgfalt geplant und geleitet? Die an RTS-Direktor Pascal Crittin gerichtete Frage dieser Zeitung leitet die Medienstelle an den inzwischen pensionierten Programmleiter Gilles Pache weiter. Pache schreibt: «Ja, die Sendung war gemäss den RTS-Standards ausgestattet. Nach zwei Monaten hatte sie ihre Ziele nicht erreicht. Das Team teilte diese Beobachtung.»

Mehrere Personen, die die damaligen Vorgänge gut kennen, widersprechen dieser Darstellung vehement. Diese Quellen sagen, die damaligen Programmverantwortlichen hätten das damals für RTS neuartige Talk-Format zu wenig gekannt, sie hätten die Sendung schlecht geplant, viel zu knappe Personalressourcen zur Verfügung gestellt, teilweise unerfahrene Mitarbeiter unter enormen Druck gesetzt und vielversprechende Talente verheizt. Als Probleme und Konflikte aufbrachen, hätten die Vorgesetzten die Equipe damit allein gelassen. Es seien diese unerträglichen Umstände gewesen, die zu Nussbaums Zusammenbruch mindestens beigetragen hätten, sind mehrere Quellen überzeugt – auch wenn niemand der RTS-Spitze die Schuld für ihren Suizid gibt. RTS-Sprecher Minder betont, das Unternehmen habe im Fall der «La grande lessive»-Crew seine Sorgfaltspflichten vollumfänglich wahrgenommen.

RTS-Direktor Pascal Crittin hat letzte Woche in einer internen Mitteilung dazu aufgerufen, Probleme intern zu regeln, «um die Gelassenheit wiederherzustellen und wieder ein solides Fundament aufzubauen, um sodann das Vertrauen zu stärken und in einen Dialog zu treten». Doch solche Parolen kommen für viele RTS-Leute zu spät.

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