Chelsea läuft die Zeit davonDie Krise beim Nobelclub spitzt sich zu
Besitzer kaltgestellt, Konten eingefroren, Kreditkarten gesperrt, und die Spieler reisen im Bus: Chelsea taumelt dem Ende entgegen. Jetzt muss es schnell gehen.
Immerhin sportlich läuft alles nach Plan. Als Chelsea am späten Mittwochabend mit einem 2:1 in Lille den Einzug in den Viertelfinal der Champions League perfektgemacht hatte, atmete nicht nur Thomas Tuchel tief durch. «Wir haben Widerstandskraft und Mentalität gezeigt, um über die Schwierigkeiten hinwegzukommen», sagte der deutsche Trainer. «Wir ermutigen die Spieler. Es fühlt sich so gut an, dass wir immer noch positive Ergebnisse erzielen können. Ich bin stolz.»
Die Partie in Nordfrankreich war zweifellos eine delikate Aufgabe für die Londoner und das Weiterkommen wichtig und lukrativ – der noch wichtigere Match folgt aber erst jetzt. Am Freitag läuft die Frist ab, die Chelsea möglichen Kaufinteressenten gesetzt hat, ihr Angebot zu deponieren. Und die Zeit drängt: Bis Ende Monat soll der Verkauf von Roman Abramowitsch an die neuen Besitzer realisiert sein. Es ist ein sportlicher Fahrplan. Scheitert er, ist vielleicht alles vorbei für den stolzen Club.
«Wir hangeln uns von Tag zu Tag»
Chelsea hat kein Geld mehr. Nachdem die britische Regierung das Vermögen des russischen Oligarchen als Reaktion auf die Aggression Wladimir Putins in der Ukraine eingefroren und die Handlungsfähigkeit Abramowitschs stark eingeschränkt hat, sperrte die Bank Barclays die Konten des Clubs und auch alle Kreditkarten. Petr Cech, einst viele Jahre Torhüter bei Chelsea und jetzt in Südwestlondon der Technische Direktor, sagt: «Wir hangeln uns gerade von Tag zu Tag.» Die Reise zur Partie in Lille war schon bezahlt und entsprechend nicht gefährdet, die Mannschaft war nach Frankreich geflogen.
Aber nun wird es komplizierter.
Am Samstag steht das Cup-Auswärtsspiel beim unterklassigen Middlesbrough an, einen Flug kann sich Chelsea nicht leisten – nach Auflagen der Regierung darf der Club lediglich 20’000 Pfund für Reisen ausgeben. Das Team wird deshalb im Bus anreisen, fünf Stunden dauert die Fahrt in den hohen Norden. Mittelfeldspieler Kai Havertz hatte an der Medienkonferenz vor dem Lille-Match klargemacht, dass notfalls die Spieler selbst ihre Portemonnaies öffnen. «Selbstverständlich würde ich mein Ticket bezahlen. Das ist keine grosse Sache.»
Und zur Frage, ob es nicht etwas mühsam sei für Fussballprofis, die an jeden Komfort gewöhnt seien, insgesamt zehn Stunden im Bus zu sitzen, antwortete er: «Es gibt derzeit Wichtigeres auf der Welt als das Problem, dass wir im Bus anreisen müssen.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Dass die Londoner forderten, das Spiel in Middlesbrough vor leeren Rängen auszutragen, weil sie selbst keine Tickets an ihre Fans verkaufen dürften und sich das auf die Stimmung im Stadion auswirke, sorgte angesichts all der Sorgen des Clubs für Kopfschütteln. Inzwischen hat Chelsea den Antrag zurückgezogen. Es wird sich ohne Unterstützung mit dem Zweitligisten messen müssen.
Geisterspiel oder Forfait in der Königsklasse?
Die Geldsorgen des Vereins sind in mannigfaltiger Ausprägung zu beobachten. Dass Chelsea derzeit keine Transfers tätigen darf, ist zwar ohne Einfluss, weil momentan das internationale Transferfenster sowieso geschlossen ist. Aber wie «Sport-Bild» meldet, wartet etwa Bundesligist Bayer Leverkusen noch auf eine Tranche des Verkaufs von Kai Havertz an die Engländer in der Höhe von 26,7 Millionen Euro. Auch auslaufende Verträge dürfen beim Londoner Nobelclub nicht verlängert werden. Arbeitspapiere von fünf Spielern enden diesen Sommer.
Daneben dürfen auch für die kommenden Heimspiele keine Tickets verkauft werden, lediglich die Jahreskartenbesitzer erhalten Einlass in die Stamford Bridge. Im Viertelfinal der Champions League droht hingegen ein Geisterspiel. Auch mit Trikots und anderen Merchandising-Artikeln soll kein Umsatz mehr generiert werden. Die Chelsea-Fanshops in London sind geschlossen. Hauptsponsor Three, ein Mobilfunkunternehmen, will sich zurückziehen und bat darum, sein Logo von den Chelsea-Trikots zu entfernen.
Selbst ein Forfait in der Königsklasse ist nicht mehr ausgeschlossen: Wegen der Beschränkung der Reisespesen kann sich Chelsea im Viertelfinal keine weitere Auswärtsreise nach Kontinentaleuropa leisten. Wenn am Freitag die nächste Runde ausgelost wird, dürfte Chelsea auf ein Duell mit Manchester City oder Liverpool hoffen: Es könnte so wieder im Bus anreisen. Selbst der Flug mit einer Billig-Airline wäre schon zu teuer.
Geld sprudelt erst wieder beim Club, wenn er nicht mehr Abramowitsch gehört. Der langjährige Besitzer hat dieses Szenario kommen sehen nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar, weshalb er den Verkauf früh ankündigte und in die Wege leitete – trotzdem war er zu spät. Der 55-Jährige wurde und wird zwar nicht enteignet durch die britische Regierung, aber sie kann mitbestimmen, an wen er verkauft. Abramowitsch hatte stets betont, dass er im Interesse des Clubs handle.
«Abramowitsch fordert viel zu viel»
Als Kaufinteressenten gelten unter anderem der britische Immobilienmogul Nick Candy und ein Konsortium um den in den USA lebenden Berner Milliardär Hansjörg Wyss. Daneben ist der englische Geschäftsmann Martin Broughton zusammen mit Sebastian Coe, dem Chef des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, interessiert. Die Chancen der Saudi Media Group von Milliardär Mohamed al-Khereiji werden dagegen als geringer eingestuft, obschon sie dem Vernehmen nach nicht dem saudischen Regime nahesteht.
Wie es aus England heisst, geht Abramowitsch von einer Verkaufssumme von rund drei Milliarden Pfund aus (3,7 Milliarden Franken). Aber die Kaufinteressenten wissen natürlich um die verzwickte Lage, in der sich Chelsea befindet – das drückt den Preis. Die «Daily Mail» berichtete vergangene Woche von einem Angebot über 2,5 Milliarden Pfund vonseiten der Gruppe um Nick Candy. Mitinvestor Wyss sagte im «Blick»: «Abramowitsch fordert derzeit viel zu viel. Chelsea steht bei ihm mit zwei Milliarden Pfund in der Kreide. Aber Chelsea hat kein Geld. Bedeutet: Diejenigen, die Chelsea kaufen, sollen Abramowitsch entschädigen.»
Als Abramowitsch 2003 bei Chelsea als Investor einstieg, sagte er in einem Interview zu seinen Beweggründen: «Es geht nicht ums Geld. Es gibt für mich viel mehr Möglichkeiten, mit weniger Risiko Profit zu machen. Es geht mir darum, Spass zu haben und Trophäen zu gewinnen.»
Besonders spassig dürften seine Tage gerade nicht sein. Vielmehr geht es jetzt um die Existenz seines einstigen Spielzeugs.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.