Das Comeback von Pierre MaudetDie Genfer erteilen ihrem gefallenen Politstar die Absolution
Pierre Maudet darf in Genf plötzlich wieder von einer Rückkehr in die Regierung träumen. Sein Coup bringt vor allem seine Ex-Partei, die FDP, in eine ungemütliche Lage.
Auf ihren Schultern und unter Jubelschreien tragen die Anhänger Pierre Maudet am Sonntagnachmittag ins Genfer Wahlzentrum. Jenen Mann, den das Bundesgericht im November 2022 wegen Vorteilsannahme verurteilt hat, weil er sich und seine Familie von der Königsfamilie nach Abu Dhabi einladen liess. Jenen Mann, der als Departementschef seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemäss einem Gutachten derart unter Druck gesetzt hatte, dass ihm die Regierung im Oktober 2020 sämtliche Amtsgeschäfte entzog. Jenen Mann, der die Öffentlichkeit über die Finanzierung der Reise belogen hatte und den die FDP deshalb aus der Partei ausschloss. Jenen Mann, der am Ende aus dem Genfer Staatsrat zurücktrat, um im März 2021 gleich zu seiner eigenen Wiederwahl anzutreten, wobei er das Plebiszit gegen die Grüne Fabienne Fischer dann aber verlor.
Doch heute ist ein anderer Tag. Ein Jubeltag für den 45-jährigen Pierre Maudet und seine neu gegründete Bewegung «Libertés und Justice sociale» (Freiheiten und soziale Gerechtigkeit). Pierre Maudet feiert bei den Parlaments- und Regierungswahlen eine Art politisches Auferstehungsfest. Er spricht von einer «schönen demokratischen Feier». Das Volk hat ihn und neun weitere Mitglieder seiner Bewegung ins Genfer Kantonsparlament gewählt. Maudets Bewegung erobert auf Anhieb mehrere Parlamentssitze. Und Maudet selber darf sogar davon träumen, am 30. April im zweiten Wahlgang zurück in den Staatsrat gewählt zu werden. Im ersten Wahlgang ist Maudet Sechstplatzierter – nur wenige Stimmen hinter Fabienne Fischer, die ihn vor zwei Jahren noch klar geschlagen hat.
Maudets Projekte
«Wir müssen an den Alltag der Genferinnen und Genfer denken», ruft Maudet jetzt ins Mikrofon des Lokalsenders Léman Bleu. Genf sei träge geworden und brauche Projekte. Er und seine Bewegung hätten im Wahlkampf 24 Projekte vorgeschlagen. Maudet erwähnt zwei davon: 2000 Franken Steuerreduktion für alle Steuerzahler und eine staatliche Einheitskrankenkasse.
«Wenn die FDP genug intelligent und nicht zu arrogant ist, kommt es zu einer bürgerlichen Allianz mit der Mitte, der SVP und dem MCG.»
Im Moment, in dem Maudet seinen Triumph feiert, «eine gewisse Rehabilitation» beschwört und sagt, man «solle nicht in den Rückspiegel schauen», steht der Genfer FDP-Präsident Bertrand Reich einsam und allein in einem Nebenraum des Restaurants «Lucha libre», zu Deutsch: Freier Kampf. Reich weiss, was auf ihn zukommt. Die anderen bürgerlichen Parteien wollen für den zweiten Wahlgang den grossen bürgerlichen Schulterschluss. Bürgerliche Exponenten sehen die Chance, eine bürgerliche Regierungsmehrheit zu erobern. Bisher hatte in Genf die Linke die Mehrheit, mit je zwei Sitzen für SP und Grüne.
«Wenn die FDP genug intelligent und nicht zu arrogant ist, kommt es zu einer bürgerlichen Allianz mit der Mitte, der SVP und dem MCG», sagt der abtretende Regierungsrat Mauro Poggia von der rechten Protestbewegung Mouvement Citoyens Genevois (MCG). Der Genfer Mitte-Präsident Jacques Blondin, der um den einzigen Regierungssitz seiner Partei bangt, sagt sogar: «Es gibt keine roten Linien. Auch eine Allianz mit Maudets Bewegung ist vorstellbar.»
Ist sie auch für FDP-Präsident Bertrand Reich vorstellbar? «Kein Kommentar!», sagt er. Und gleich nochmals: «Kein Kommentar!» Am Montagmorgen um sieben Uhr treffe man sich zu einer Parteileitungssitzung, um 19 Uhr dann zur freisinnigen Delegiertenversammlung. Reich weiss: Die FDP ist auch allein auf bestem Weg, den ehemaligen Regierungssitz von Maudet zurückzuerobern. Für Maudet wiederum ist – trotz seines guten Abschneidens im ersten Wahlgang – seine Wiederwahl in die Regierung ohne bürgerliche Allianz schwierig bis unerreichbar.
Zündstoff für die FDP
Die FDP hat also faktisch alle Macht über Maudet. Doch die Personalie Maudet entzweit die FDP-Spitze – ein weiteres Mal. Vincent Subilia, FDP-Kantonsrat und Chef der Genfer Handelskammer, sagt: «Ich persönlich bin für eine Allianz mit Pierre Maudet, und auch die Handelskammer ist dafür.» Das Volk wolle Maudet, und auch im Parlament sei seine Bewegung gut vertreten, so Subilia. Dass die FDP mit ihrem Ex-Mitglied Maudet in den zweiten Wahlgang gehe, sei ausgeschlossen, ja unvorstellbar, betont derweil ein anderer FDP-Wortführer. Er, der der FDP so viel schlechte Presse eingebracht hat, könnte die Partei in den nächsten Wochen erneut spalten in Maudet-Freunde und Maudet-Feinde.
«In den öffentlichen Debatten sprach niemand Maudets Verurteilung an.»
Ausser der Frage, wie die FDP mit Maudet umgeht, bleibt eine weitere Frage offen: Wie kann ein wegen Korruption verurteilter Politiker, der die Öffentlichkeit und seine Partei belog und bei dem Führungsmängel festgestellt wurden, wieder auf eine Rückkehr in eine Kantonsregierung hoffen? «Das Volk hat Maudet die Absolution erteilt», sagt der langjährige Genfer SP-Stadtpräsident Manuel Tornare. Man könne sich strafrechtlich etwas zu Schulden kommen lassen, aber als Politiker dennoch überzeugen.
Maudet sei in den letzten Monaten ständig unterwegs gewesen, habe zu den Leuten gesprochen und ihnen seine Ideen präsentiert. Während andere Parteien glaubten, alles über die sozialen Medien machen zu können und Maudets Kampagne als «altväterlich» belächelten, sei Maudet zu den Wählerinnen und Wählern vorgedrungen.
Die grüne Ständerätin Lisa Mazzone hat vor allem eines beunruhigt: «In den öffentlichen Debatten sprach niemand Maudets Verurteilung an.» Das Thema sei von den anderen Parteien einfach verschwiegen worden. Das sei falsch gewesen, so Mazzone. Auch habe den Genferinnen und Genfern eines niemand gesagt: «In Bundesbern wundert man sich, dass Pierre Maudet in der Genfer Politik überhaupt noch eine Rolle spielt.»
Der Autor dieses Artikels ist Autor der Maudet-Biografie «Pierre Maudet – sein Fall». Sie erschien 2019 im Stämpfli-Verlag.
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