Britische AussenministerinDie Frau, die Boris Johnsons Job übernehmen könnte
Liz Truss wird nun auch noch zuständig für den Brexit und steigt damit zur mächtigsten Ministerin auf. Und im Gegensatz zum Premier ist sie bei der Parteibasis sehr beliebt.
Im September ist Liz Truss zur britischen Aussenministerin ernannt worden. Nun soll sich die 46-Jährige auch um die weitere Umsetzung des Brexit kümmern – ein minenbestücktes Terrain, das bisher aus der Zuständigkeit des Foreign Office ausgegliedert und im Kabinett mit einem eigenen Minister besetzt war. Der plötzliche Rücktritt dieses Ministers, Lord Frost, und die damit verbundene Aufregung bewogen Premierminister Boris Johnson offenbar dazu, die Europapolitik erst einmal wieder in ihrem alten Ressort zu verankern.
Von nun an soll Liz Truss auch die diversen Post-Brexit-Ausschüsse in London leiten, die erforderlichen Verhandlungen mit Brüssel führen und generell ein neues Verhältnis mit den europäischen Nachbarn zuwege bringen. Daneben behält sie ihr separates Amt als Staatssekretärin für Frauen und Gleichberechtigung. Und als Aussenministerin wird von ihr natürlich erwartet, dass sie die ganze Welt bereist und zu allem etwas zu sagen weiss. Ein wahres «Monster-Ministerium» sei ihr da zugefallen, sagen darum auch loyale Mitarbeiter der Foreign-Office-Chefin.
Aus dem Brexit «einen Erfolg» machen
An einem zweifelt freilich niemand: Truss ist nun endgültig ein politisches Schwergewicht im Kabinett geworden. Sie hat neben Schatzkanzler Rishi Sunak die besten Aussichten, Johnson als Premierminister zu beerben, wenn es dazu kommen sollte. Denn bei der Parteibasis, die über die Wahl eines oder einer neuen Parteivorsitzenden zu entscheiden hätte, steht sie auf der Popularitätsliste ganz oben. Dass sie fest entschlossen ist, aus Brexit «einen Erfolg» zu machen, nehmen ihr nationalkonservative Parteigänger ohne weiteres ab.
Schon als Aussenhandelsministerin hatte sie Johnsons Vision eines «globalen Britannien» nach Kräften propagiert, auch wenn die Bilanz dieser Zeit eher bescheiden ausfiel. Bei ihrem Wechsel an die Spitze des Aussenministeriums hatte sie gelobt, Aussenpolitik post Brexit noch stärker an die Handelsinteressen ihres Landes zu koppeln als bisher. Vor allem gefällt vielen Tories Truss’ ausgesprochen prokapitalistisches Denken: Sie setzt sich nachdrücklich für die «Kräfte des freien Marktes» und für «freies Unternehmertum» ein. Gegen neue Steuererhöhungen habe sie im Kabinett ebenso Stellung bezogen wie gegen schärfere Covid-Restriktionen, berichteten Kollegen.
Bei Truppenübungen in Estland liess sie sich, gut behelmt, auf dem Geschützturm eines Panzers filmen – eine Reminiszenz an ein ähnliches Foto mit der «Eisernen Lady» Margaret Thatcher aus den Achtzigerjahren. In der Tat soll Liz Truss schon als Achtjährige die damalige Premierministerin bei einer Schulaufführung mit Begeisterung gespielt haben. Andere Chronisten wollen hingegen wissen, dass sie in jenen Jahren bei Anti-Atomwaffen-Kundgebungen an der Seite ihrer Eltern, die sie selbst als «links» einstuft, «Maggie, Maggie, Maggie, out, out, out!» gerufen habe: raus mit der Lady aus Downing Street.
Neuer Liebling der Hardliner
Auch später hatte Truss offenbar noch Probleme mit der politischen Orientierung. Zwei Tage vor dem Brexit-Referendum in Sommer 2016 sprach sie sich noch für den Verbleib in der EU aus, «weil die Befürworter eines Austritts kein einziges Land nennen können, mit dem wir einen besseren Handelsdeal bekommen könnten». Nach dem Brexit-Votum gab es nichts Besseres mehr als den Austritt, als eine scharfe Absetzung von der EU.
Seither hat sich Liz Truss zum Liebling der Brexit-Hardliner aufgeschwungen. «Zuversichtlich, über die eigenen Grenzen hinausblickend, patriotisch und positiv» könne Grossbritannien ausserhalb der EU operieren, hat sie jüngst wieder erklärt. Gespannt fragt man sich nun auf der Insel, ob das bedeutet, dass sie Lord Frosts Kollisionskurs mit Brüssel weiterverfolgen will – oder ob sie einen konzilianten Ton anzuschlagen plant, was eigentlich nicht ihre Art ist. Im Augenblick hängt in diesem Punkt alles etwas in der Schwebe. Und noch ist ja auch massgeblich, was Boris Johnson entscheidet in Downing Street.
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