Kommentar zu WeissrusslandDie EU muss eingreifen
Diktator Alexander Lukaschenko hat in Weissrussland eine Gewaltspirale in Gang gesetzt, die er wohl selbst nicht mehr stoppen kann.
Bald ist Weihnachten, und der Diktator ist immer noch da. Im Sommer gab es noch kurz Grund zur Hoffnung, dass Alexander Lukaschenko endlich geht. Seine Lage war verzweifelt genug, er wirkte fahrig, beinahe irre, mit seinen wüsten Drohungen und dem Auftritt mit Kalaschnikow. Das ist Monate her, und oberflächlich scheint sich wenig verändert zu haben. Jede Woche folgen den Protesten Hunderte Festnahmen, gibt es Schüsse, Schläge, Verletzte, immer wieder auch Tote.
Keine Seite will aufgeben. Von einem Patt zwischen Regime und Regimegegnern zu sprechen, wäre aber falsch, denn Lukaschenko hat das Gewaltmonopol. Stillstand ist es auch nicht, dafür verändert sich zu viel. Die Situation ist heute unerträglicher, als sie vor den Präsidentschaftswahlen war.
Das liegt zum einen an der Gewaltspirale, die Lukaschenko wohl selbst nicht mehr stoppen kann. Er hat sein Schicksal in die Hände des Sicherheitsapparats gelegt und mehr Männer aus Militär und Sonderdiensten auf wichtige Posten befördert. Sie verantworten die Menschenrechtsverletzungen der letzten Monate und wollen den Wandel schon deswegen verhindern, um nicht später dafür belangt zu werden. Der Graben zwischen Regime und Bevölkerung wird so immer tiefer: Eine Mehrheit will neue Wahlen. Sie fordert, die Gewalt zu beenden und die Verantwortlichen zu bestrafen. Genau das kann Lukaschenko den Menschen nicht mehr geben.
Repressionen sind wirksamer
Stattdessen sind seine Repressionen überlegter und wirksamer geworden. Das heisst nicht, dass sich die Einsatzkräfte nun zurücknehmen. Es explodieren weiterhin Blendgranaten zwischen den Füssen der Protestierenden. Dazu kommen subtilere Druckmittel. Wer das Regime kritisiert, riskiert seinen Job, seinen Studienplatz, seine Zukunft und die seiner Familie. Weil die Wirtschaft weiterlaufen muss, wird nicht jeder Streikende entlassen, aber jeder muss damit rechnen. Viele, die die Demokratiebewegung besser organisieren wollten, sitzen im Gefängnis oder sind im Exil.
Die Demonstrierenden treffen sich jetzt in den Stadtvierteln, grosse Protestzüge durch das Minsker Zentrum gibt es derzeit nicht. Zu den verstreuten Aktionen kommen weniger Menschen, das Wetter wird kälter, die Sorgen grösser, dass niemand mehr hinschaut. Die meisten internationalen Journalisten sind abgereist. Lukaschenko hat die Landesgrenzen schliessen lassen, viele Weissrussen dürfen nicht mehr ausreisen. Offiziell wegen der Pandemie, für die er sich nie wirklich interessiert hat.
Die EU will Moskau nicht reizen
Brüssel hat nur zögerlich ein paar Sanktionen beschlossen. Vor allem wollte man Moskau nicht reizen, das in Weissrussland deutlich grösseren Einfluss hat als die EU. Die Zurückhaltung war anfangs sicher klug, die weissrussische Opposition hatte selbst darum gebeten. Sie wollte sich Moskau nie zum Feind machen, spricht auch jetzt nicht kritisch über die russischen Nachbarn. Gleichzeitig ruft sie die EU nun aber hörbar um Hilfe.
Der Kreml wirft dem Westen längst vor, sich in Weissrussland einzumischen, während er selbst Lukaschenkos Gewaltherrschaft verlängert. Das alte Argument, die Weissrussen ihre Konflikte selbst lösen zu lassen, gilt nicht mehr. Die EU könnte entschiedener handeln, Sanktionen gegen mehr Unternehmen und Geschäftsleute verhängen, die Lukaschenko stützen. Sie könnte mehr Menschenrechtlern und zivilgesellschaftlichen Gruppen umfassender helfen, Regimegegnern deutlicher zeigen, auf wessen Seite sie steht. Das lähmende Gefühl der Machtlosigkeit darf sich nicht festsetzen, nicht in den Minsker Hinterhöfen und nicht in Brüssel.
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