Kommentar zur Wahl in ÄthiopienDie Erwartungen enttäuscht
Äthiopiens Premier Abiy Ahmed wurde als Reformer gefeiert – zu früh. Er lässt Wahlen abhalten, obwohl in Teilen des Landes Krieg herrscht und die ethnischen Spannungen zunehmen.
Anfangs feierten ihn manche wie einen Messias. Und tatsächlich schien Äthiopiens Premier Abiy Ahmed vieles richtig zu machen. Tausende politische Gefangene kamen frei, nachdem er das Amt 2018 von seinem Vorgänger übernommen hatte. Die Presse konnte unabhängiger arbeiten als zuvor. Und Abiy beendete den Krieg mit dem Nachbarn Eritrea. Es roch nach Aufbruch am Horn von Afrika.
Doch die Euphorie, die darin gipfelte, dass Abiy 2019 den Friedensnobelpreis erhielt, hat sich als voreilig erwiesen. Vor allem gelingt es dem Premier nicht, die ethnischen Spannungen zu entschärfen, die vielerorts in Gewalt umschlagen. Auch hat es Abiy nicht geschafft, einen Ausgleich mit den politischen Kräften in der Region Tigray zu finden. Stattdessen setzte er auf eine militärische Lösung. Das wirkte wie Hohn, nur ein Jahr nach der Ehrung in Oslo.
Misstrauen, Frust und Angst nehmen zu – ein gefährlicher Cocktail.
In einem derart explosiven Klima nun auch noch Wahlen abzuhalten, die viele Akteure ausschliessen, ist äusserst fragwürdig. Mit grossen, zuweilen grossspurig anmutenden Worten zeichnet der 44-Jährige Bilder von einem demokratischen Aufbruch, der Frieden und Wohlstand bringen soll, mit Abiy an der Spitze. Das grösste Land am Horn von Afrika ist von 110 Millionen Menschen bevölkert, die Dutzenden Ethnien angehören. In vielen Wahlkreisen ist die Abstimmung allerdings schon auf September verschoben, weil es zu Unregelmässigkeiten bei der Vorbereitung gekommen sei. Und in Tigray, wo abtrünnige Kräfte gegen den Zentralstaat kämpfen, findet gar keine Wahl statt.
Gleichwohl setzt Abiy alles daran, die Abstimmung durchzuziehen, und er hat auch einige Oppositionsgruppen für die Teilnahme gewonnen. Abiy möchte demokratische Legitimität gewinnen, aber es ist zu befürchten, dass er das Gegenteil erreicht. Misstrauen, Frust und Angst nehmen zu, ein gefährlicher Cocktail für ein Land, dessen ethnische Spannungen schon so lange durch autoritäre Regimes unterdrückt wurden. Das Ventil ist nun Gewalt, weil Abiy wohl doch nicht zum grossen Versöhner taugt, den Äthiopien dringend bräuchte.
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