Mysteriöse SteppenkriegerDie Dürre trieb Attilas Hunnen gegen Rom
Attila, den König der Hunnen, kennt noch heute fast jeder. Doch was weiss man wirklich über die Reitertruppe und ihren Anführer? Eine Studie der Uni Cambridge zeigt Überraschendes.
Glaubt man den Römern, so gibt es nicht viel Schrecklicheres als Attila und seine Hunnen. Ein römischer Geschichtsschreiber charakterisierte die Hunnen im vierten Jahrhundert als tierähnlich, entsetzlich entstellt, gierig und ohne Ehre. Attila beschrieben christliche Autoren als «Geissel Gottes», den Einfall seiner Truppen als Apokalypse. Bei allen Schmähungen schimmert meist auch etwas Bewunderung für die hunnische Kampftechnik in den Berichten durch.
Die Hunnen selbst haben kaum Zeugnisse hinterlassen, ausser einem grossen Mysterium. Bis heute weiss man nur wenig darüber, woher diese Menschen kamen, als sie gegen Ende des vierten Jahrhunderts in Europa auftauchten.
Klar ist: Bei ihren Opfern verbreiteten die Hunnen Angst und Schrecken. Laut den römischen Quellen fallen die Hunnen gegen Ende des vierten Jahrhunderts in Osteuropa ein und plündern die römischen Donauprovinzen, nachdem sie zuvor die Goten, die an den Grenzen des Reiches siedelten, attackiert hatten.
Manche Historiker sehen im Vorrücken der Hunnen sogar den Anfang des Endes für das Weströmische Reich und eine der Ursachen für die sogenannte Völkerwanderung ab Ende des vierten Jahrhunderts. Eine neue Studie der Universität Cambridge bringt nun einen zusätzlichen Erklärungsansatz, der klimatische Veränderungen im 5. Jahrhundert berücksichtigt.
Woher kamen die Hunnen?
«Die genaue Herkunft der Hunnen ist bis heute nicht geklärt», sagt Felix Maier, Professor für Alte Geschichte an der Universität Zürich. Auch die antiken Quellen würden sich in dieser Frage widersprechen. Ein römischer Geschichtsschreiber behauptete, die Hunnen hätten vor ihrem Zug gegen Rom zuletzt nördlich des Asowschen Meeres gewohnt. Beweise dafür gibt es nicht.
Die meisten Forscher sind sich einig darin, dass die Hunnen ursprünglich nomadische Reitertruppen aus den eurasischen Grassteppen waren. Die eurasischen Steppen sind sehr weitläufig, sie ziehen sich über 7000 Kilometer von der Chinesischen Mauer bis an die Nordränder des Schwarzen Meeres. Vermutlich waren es unterschiedliche Verbände, die sich zusammenschlossen, und «Hunnen» war ursprünglich ein Begriff für diese Kämpfer und bezeichnete nicht eine bestimmte Gruppe.
Nicht einmal die Sprache der Hunnen kennen wir, mit Ausnahme weniger Namen haben keine hunnischen Wörter die Zeit überdauert. Manche Forscher glauben, das Hunnische gehörte zu den Turksprachen, eine eurasische Sprachfamilie. Doch das ist umstritten.
Warum verbreiteten die Hunnen Angst und Schrecken?
Nicht nur die Römer, sondern auch die Goten fürchteten die Hunnen. Besonders ihre schnellen Reiterattacken waren berüchtigt. «Ihre Überfälle waren so verheerend, weil sie eine neue Art der Kriegsführung praktizierten», sagt Mischa Meier, Professor für Alte Geschichte an der Universität Tübingen. Meier hat 2019 mit «Die Geschichte der Völkerwanderung» eine grosse Übersichtsarbeit zum Thema veröffentlicht.
Die Hunnen hatten eine tödliche Waffe, den Reflexbogen, mit dem sie in vollem Ritt schossen. Der Bogen war lang, in der Form dem Reiter angepasst und stand unter grosser Spannung. Moderne Versuche haben gezeigt, dass die Hunnen mit diesem Bogen 400 Meter weit schossen und aus rund 100 Metern römische Rüstungen durchbohrten. Sie selbst trugen keine schweren Rüstungen, rissen mit Pfeilhageln die Deckungen auf, ritten schnelle, wendige Scheinangriffe und brachten die Linien der römischen Armee aus dem Konzept.
Es gelang den Hunnen schnell, Gebiete entlang der Donau einzunehmen. Sie finanzierten sich dann unter anderem durch Tributzahlungen der Römer, die damit versuchten, sie von weiteren Angriffen abzuhalten.
Warum zogen die Hunnen gegen Rom?
Eine neue Erklärung für den Vorstoss der Reiternomaden bringt eine aktuelle Untersuchung der Universität Cambridge: Der Geograf Ulf Büntgen hat für Mitteleuropa rekonstruiert, wie viel Niederschlag in den Sommermonaten der Jahre 350 bis 500 fiel. Dazu analysierte er Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope in den Baumringen von Eichen, die Trockenheit signalisieren können.
Vor allem in der Zeit zwischen 430 und 453 soll es im heutigen Ungarn, wo sich die Hunnen in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts aufhielten, mehrere «extrem trockene Sommer» gegeben haben. «Möglicherweise wollten die Hunnen bei ihren Überfällen nicht nur Gold stehlen, wie so häufig erzählt wird, sondern auch Vieh und Lebensmittel», sagt Susanne Hakenbeck, Professorin für Archäologie an der Universität Cambridge und Mitautorin der Studie. Belege für diese Vermutung gebe es aber keine.
Gibt es andere Erklärungen als Klimaveränderungen?
«Die Hunnen griffen immer dann an, wenn das Römische Reich Schwächephasen hatte», sagt Völkerwanderungsexperte Meier. Das Klima sei nur einer von verschiedenen Faktoren, denn die Angriffe passierten auch schon vor dem Jahr 430. Berichte von Dürreperioden gibt es aber auch für die Zeit um 350 aus den Steppen Asiens, als die Hunnen vermutlich ihre ursprüngliche Heimat verliessen.
Andere Erklärungen bringen die Bewegungen der Hunnen mit Wanderungen anderer Gruppen in Zusammenhang. Möglicherweise zogen die Steppenkrieger westwärts, weil ein unbekannter Dritter sie aus ihrer angestammten Heimat vertrieb.
Warum hielt ihr Erfolg nicht an?
Die Hunnen machten mit ihren Überfällen schnelle Gebietsgewinne, doch der Erfolg war nicht von Dauer. Attila starb 453 überraschend, der Legende nach in seiner Hochzeitsnacht an einer heftigen Blutung. Nach seinem Tod zerfiel das hunnische Reich rasch. «Das lag in seinen Strukturen begründet», sagt Meier.
Um existieren zu können, seien die Nomaden auf die Nähe zu sesshaften Bevölkerungen angewiesen gewesen, da sie gewisse Dinge nicht selbst hergestellt hätten. Das habe zu ständigen Konflikten geführt. Gleichzeitig brauchte ein Anführer wie Attila grosse Mengen an Beute, die er an seine Gefolgsleute verteilen konnte, um seine Macht aufrechtzuerhalten.
Kann die Archäologie das Rätsel lösen?
Bei Kulturen, die nur mündliche Überlieferungen kennen, ist die Archäologie oftmals ein wertvolles Instrument. Im Falle der Hunnen trifft das nur sehr begrenzt zu. «Es gibt kaum Funde, die man den Hunnen klar zuordnen kann», sagt Archäologin Hakenbeck, die mehrere Gräber in Ungarn untersucht hat. Zwar finde man immer wieder bronzene Kessel, die typisch für Gruppen aus der eurasischen Steppe seien, aber eben nicht nur für die Hunnen. Lange glaubte man auch, dass gewisse Schädeldeformationen, die entstehen, wenn man Babys den Kopf einbindet, typisch für die Hunnen seien. Doch heute weiss man, dass auch andere Kulturen diese Praxis kannten. Der Grund dafür ist unbekannt.
Nicht einmal die Überfälle lassen sich in archäologischen Funden klar nachweisen. Es gibt schriftliche Quellen, wonach die Hunnen unter Attila 452 die italienische Stadt Aquilea niederbrannten. «Als man dort Schichten mit Brandspuren fand, hat man sie einfach alle den Hunnen zugeordnet», sagt Hakenbeck. Ohne dass es dafür Beweise gäbe.
Lösten die Hunnen die Völkerwanderung aus?
Es gibt immer wieder Diskussionen darum, ob die Hunnen mit ihren Überfällen in einer Art Domino-Effekt die Völkerwanderung ausgelöst hätten. Vor allem der englische Historiker Peter Heather vertritt diese Theorie. Als Völkerwanderung bezeichnet man die Zeit von ungefähr 375 bis 568. In jener Zeit zogen verschiedene Gruppen, die die Römer als Barbaren bezeichneten, süd- und westwärts und gerieten in Konflikt mit Rom. Ende des fünften Jahrhunderts brach das Weströmische Reich auseinander. Ob der Zusammenbruch Roms Folge oder Ursache der Wanderbewegungen war, wird heute kontrovers diskutiert.
«Die Hunnen haben eine wichtige Rolle gespielt, aber sie waren nur ein Faktor unter verschiedenen. Sie als alleinige Ursache zu bezeichnen, halte ich für übertrieben», sagt Experte Meier.
Attila in Buch und Film
Vieles, was wir heute über die Hunnen und Attila zu wissen glauben, stammt aus späteren Epochen. Was das Bild der Hunnen lange prägte: Sie wurden entweder dämonisiert oder idealisiert. Schon die Bezeichnung Barbar geht auf römische Vorurteile zurück. Wer ausserhalb ihrer Grenzen lebte, galt für die Römer als Barbar, als unkultiviert, unzivilisiert. «Das griechische Wort barbaros heisst auf Deutsch so viel wie Blablasprecher», sagt Meier. Es bezieht sich also vor allem darauf, dass die Römer die fremden Sprachen nicht verstanden.
Auch in verschiedenen Sagen der altnordischen Literatur tritt Attila auf, ebenso im deutschen Nibelungenlied. «Im 19. Jahrhundert hatten verschiedene historische Romane und Dramen die Figur Attilas zum Inhalt», sagt Meier. Selbst in den letzten Jahrzehnten findet man Beispiele. «George R.R. Martin soll die Figur des Khal Drogo in ‹Game of Thrones› auf Grundlage gewisser Hunnenvorstellungen geschaffen haben.»
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