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Deutschland vor kaltem Winter
Die Deutschen erhalten die Gasrechnung – und werden wütend

Bekommt derzeit den meisten Unmut ab: Robert Habeck, der deutsche Wirtschafts- und Energieminister.
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Deutsche Medien sind voll von Berichten, in denen Familienväter oder Seniorinnen verzweifeln. Darüber, dass sie statt 120 auf einmal 1200 Euro für ihr Gas vorausbezahlen sollen – pro Monat. Auch wenn sich für viele der 30 Millionen Gasverbraucher im Land die Kosten «bloss» verdoppeln oder verdreifachen, sitzt der Schrecken tief.

Viele Menschen mit kleinen Einkommen bangen darum, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können und über kurz oder lang ihre Wohnungen zu verlieren. Ähnlich schlimm trifft es manche Handwerksbetriebe, etwa Bäckereien, die für ihre Gasöfen statt 6000 auf einmal monatlich 75’000 Euro im Voraus bezahlen sollen. Viele kleine Betriebe fürchten um ihre Existenz.

Wer ist an dem Schlamassel schuld?

Die extremen Kosten für Strom, Öl und Gas schlagen laut Ökonomen mittlerweile mit voller Wucht auf die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft durch. Die Energiepreise verteuern das Leben auf allen Ebenen, was dazu führt, dass viele Haushalte weniger konsumieren, um überhaupt noch über die Runden zu kommen. In der Summe erwarten Fachleute eine schwere Rezession. Finanzminister Christian Lindner warnt vor einer «Lawine», die auf Deutschland zurolle. Deren Kraft werde noch unterschätzt.

Neu ist, dass viele Deutsche nicht mehr Wladimir Putin oder der blauäugigen Energiepolitik früherer deutscher Regierungen die Schuld für die Misere geben, sondern der aktuellen. Besonders trifft die Wut den grünen Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck, der von Medien und Publikum gerade noch überschwänglich als «nächster Kanzler» bejubelt wurde. Jetzt floriert der sarkastische Hashtag #DankeHabeck.

Grüne stürzen ab, AfD profitiert

Die Grünen sind in den Umfragen jedenfalls bereits von 25 auf 20 Prozent abgesunken, die SPD und die FDP stagnieren bei 19 beziehungsweise 7 Prozent. Würde jetzt gewählt, verlöre die Ampelkoalition vermutlich ihre Mehrheit. Habeck, während Monaten der beliebteste Politiker des Landes, ist deutlich zurückgefallen, seine Kompetenzwerte haben sich praktisch halbiert. Besonders alarmierend ist der Befund, dass 60 Prozent der Befragten gar keiner Partei mehr zutrauen, Deutschlands Probleme zu lösen.

Abgesehen von den oppositionellen Christdemokraten profitiert vom aufziehenden Unmut bisher vor allem die Alternative für Deutschland. Sie steht in den Umfragen bereits bei 13 Prozent – so hoch wie zuletzt 2019. Für Anfang Oktober ruft die Partei zu Massendemonstrationen gegen den «Energiewahnsinn» auf, an denen sie auch den von der Regierung angeblich ohne Not angezettelten «Wirtschaftskrieg» gegen Russland geisseln will. Die Linkspartei bringt ihrerseits jeden Montag empörte Menschen auf die Strasse, vor allem im Osten des Landes, wo auch diesmal der Zorn besonders gross und laut ist.

Keine höheren Steuern, keine neuen Schulden: Christian Lindner, Finanzminister und FDP-Chef, hat sich festgelegt.

Die Ampelregierung hat in den vergangenen Monaten bereits drei Pakete im Umfang von insgesamt 100 Milliarden Euro geschnürt, um Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Einmalzahlungen von 300 Euro pro Person gehörten ebenso dazu wie Heizzuschüsse für Menschen mit kleinen Einkommen oder höhere Kindergelder.

Bisher erst geplant sind indes die dringendsten Massnahmen: Kostendeckel für Strom und Gas. Vorgesehen ist, dass der «Grundbedarf» der Haushalte künstlich verbilligt wird, alles, was darüber hinausgeht, aber zu Marktpreisen bezahlt werden muss. Finanziert werden sollen die Deckel einerseits durch «Zufallsgewinne», die der Staat bei manchen Energieunternehmen abschöpfen möchte, andererseits durch den Staat selbst. Kompliziert ist die Sache unter anderem, weil die EU Ähnliches plant und die Energiemärkte quer durch Europa stark integriert sind.

Kampf um die Schuldenbremse 

Zudem geht ein tiefer ideologischer Riss durch die Koalition. Während Sozialdemokraten und Grüne unbedingt mehr Entlastungen wollen und bereit sind, dafür Spitzeneinkommen höher zu besteuern oder die Schuldenbremse noch einmal auszusetzen, ist Lindners FDP strikt gegen beides. Und weil sich dieser Grundkonflikt nicht auflösen lässt, streiten die Koalitionäre mittlerweile um jedes Detail. Dass am 9. Oktober in Niedersachsen zudem heikle Wahlen stattfinden, steigert die Nervosität zusätzlich.

Viele Ökonomen sind der Meinung, zusätzliche Hilfen seien nötig. Neben den Deckeln brauche es insbesondere eine Art Rettungsschirm – nicht nur für grosse, sondern auch für kleine und mittlere Betriebe. Wenn dies, wie geschätzt wird, nochmals 100 Milliarden kostet, wäre das heilige Versprechen von Finanzminister Lindner – keine höheren Steuern, keine neuen Schulden – wohl nicht mehr zu halten. Da neuerdings auch Christdemokraten wie Markus Söder dafür plädieren, die Schuldenbremse erneut auszusetzen, werde es langsam «einsamer um mich», klagt der FDP-Chef. Nicht nur den Liberalen, der ganzen Regierung stehen schwere Monate bevor.