Alternative für DeutschlandEine krachende Niederlage für das gemässigte Lager der AfD
Die Revolte gegen die äusserst Rechten in der AfD ging nach hinten los: Tino Chrupalla und Alice Weidel bilden die neue Parteispitze, Rechtsaussen Björn Höcke wird zur zentralen Figur.
Der Weg zum Parteitag der Alternative für Deutschland AfD führte die 540 Delegierten an diesem Wochenende vorbei an einer speziellen Skulptur. Gleich am Eingang, direkt vor der Sachsen-Arena in Riesa, zog ein riesiges verrostetes Motorrad Blicke der AfD-ler auf sich. Geschaffen hat es der Riesaer Künstler Lutz Peschelt, der aus Altmetall Kunst formt.
Aus Altlasten etwas Neues zu machen, das wollte drinnen in der riesigen Konzerthalle auch die angeschlagene wie zerstrittene AfD. Nach zehn Wahlniederlagen in Folge peilte vor allem die für AfD-Verhältnisse gemässigte Parteiströmung in Riesa einen Neuanfang an. Führende Vertreter hatten schon im Vorfeld angekündigt, die äusserst Rechten, allen voran Parteichef Tino Chrupalla, so weit wie möglich aus der Parteispitze zu drängen und selbst mehr Einfluss zu nehmen.
Erstmals seit Jahren sind die Gemässigten nicht mehr vertreten
Doch die Wahlen für die künftige Parteispitze am Samstag zeigten: Der Schuss ging nach hinten los. Die Revolte kam nicht in Gang. Im Gegenteil: Der Parteitag wurde zur krachenden Niederlage für das gemässigte Lager der Partei. An die Spitze wählten die Delegierten mit Tino Chrupalla und Alice Weidel Vertreter, die sich in der Vergangenheit zwar inhaltlich flexibel zeigten, letztlich aber der weit rechten Strömung zugerechnet werden. Auch wenn Chrupalla ein denkbar schlechtes Wahlergebnis bekam: Erstmals seit Jahren sind die Gemässigten damit für eine Amtsperiode nicht mehr in der Doppelspitze vertreten.
Auch im 14-köpfigen Vorstand ist die Mehrheit der selbsternannten Bürgerlichen futsch. Neben den beiden Parteichefs stellt das rechte Lager etwa künftig auch die drei Stellvertreter der Parteispitze. Sogar Parteigremien wie das Bundesschiedsgericht könnten künftig von der rechten Parteiströmung dominiert werden. Der Ausschluss von Extremisten könnte damit schwieriger werden. Führende Funktionäre, etwa der stellvertretende Parteichef Stephan Brander, forderten am Samstag bereits ein Ende der «Ausschlussorgien». Unter Ex-AfD-Chef Jörg Meuthen waren Rechtsaussen wie Andreas Kalbitz aus der Partei gedrängt worden.
Zwar kündigte Chrupalla am Samstag an, die beiden verfeindeten Lager zu versöhnen. Doch die neuen Köpfe im Vorstand legen etwas anderes nahe: einen weiteren Rechtsruck der Partei. «Damit es in Zukunft noch ein Deutschland gibt, das wir lieben, müssen wir Migrationsanreize reduzieren», forderte etwa die Rechtspopulistin Mariana Harder-Kühnel, die neu in den Vorstand einzog und zur stellvertretenden Parteichefin gewählt wurde. Die Bundestagsabgeordnete aus Hessen sprach sich am Samstag für mehr «Remigration» und gegen «Islamisierung» aus.
Das Treffen in Riesa legte auch offen, wie viel Einfluss Rechtsaussen Björn Höcke bereits auf die gesamte AfD nimmt. Der 50-jährige thüringische Landeschef, dessen Verband der thüringische Verfassungsschutz als «erwiesen rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt» einstuft, trieb in Riesa eine Satzungsänderung voran, die die Partei in den nächsten Jahren noch stärker verändern könnte.
Höcke könnte bei der nächsten Wahl selbst als Parteichef kandidieren
Auf Betreiben Höckes beschlossen die Delegierten die Möglichkeit, die seit Jahren gültige Praxis der Doppelspitze künftig gegen eine Einzelspitze tauschen zu können. In der Partei gehen führende Vertreter davon aus, dass Höcke, der diesmal nicht für ein Spitzenamt auf Bundesebene antrat, bei der nächsten Wahl in zwei Jahren selbst als Parteichef kandidieren könnte. Er hatte eine solche Änderung zur Bedingung für eine eigene Kandidatur gemacht. «Vielleicht ist es in ein paar Jahren so weit», sagte Höcke am Samstag zu einem möglichen Griff nach der Macht. «Bis dahin bin ich in Thüringen gut aufgehoben.»
Die neue Positionierung der AfD dürfte auch Innenminister und den Verfassungsschutz hellhörig werden lassen. Der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) vermutet längst, dass Höcke grössere Ziele hat als Thüringen. «Für mich ist es eine Frage der Zeit, wann er nach dem Parteivorsitz auf Bundesebene greift», sagte Maier schon vor dem Parteitag.
Von Ende 2020 bis Mitte 2022 verlor die Partei unter dem Strich mehr als 4000 ihrer zuletzt rund 30'000 Mitglieder.
Auch Wissenschaftler sehen angesichts vieler Vertrauter in der Parteispitze einen deutlich wachsenden Einfluss des Rechtsaussen: «Wir erleben die Höckisierung der AfD», sagte Wolfgang Schroeder, der Demokratieforscher der Uni Kassel und Fellow des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Höcke habe auf dem Parteitag mit seinen Auftritten die Stimmung intoniert. Seine Vertrauten dominierten Gremien. Dennoch müsse auch die künftige Parteispitze die gesamte Partei zusammenhalten. Es sei fraglich, wie weit die AfD unter der neuen Führung nach rechts rücke.
Bekannt wurde in Riesa auch, dass die AfD mit einem deutlichen Mitgliederschwund kämpft. Von Ende 2020 bis Mitte 2022 verlor die Partei unter dem Strich mehr als 4000 ihrer zuletzt rund 30'000 Mitglieder. Dass der Verfassungsschutz inzwischen die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft, hat der Partei allerdings nicht überall gleichermassen geschadet. Im Osten fuhr sie trotz Rechtsextremismus-Vorwürfen gegen führende Kräfte hohe Ergebnisse ein.
Auch das Lager der Unterlegenen stellt sich schon mal auf eine Zuschauerrolle ein. Jetzt müsse der neue Parteivorstand zeigen, was er kann, sagte das ausgeschiedene Bundesvorstandsmitglied Joana Cotar. Sollte die Bilanz bei den nächsten Wahlen schlecht ausfallen, biete sich vielleicht doch noch eine Chance für eine Kurskorrektur. Vielleicht.
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