Hoffen auf Omikron?Die deutsche Impfpflicht kommt später – wenn überhaupt
Die FDP bremst, und der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz lässt die Sache einfach treiben: Nun könnte es Sommer werden, bis in Deutschland ein Impfobligatorium gilt.
Ende November kündigte der damals noch nicht einmal gewählte neue Kanzler Olaf Scholz überraschend an, Deutschland werde bis spätestens «Februar, Anfang März» eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus erlassen. Doch dieser Zeitplan ist längst Makulatur.
Vor April dürfte ein entsprechendes Gesetz von Bundestag und Bundesrat nicht verabschiedet werden, sagen führende Politiker der regierenden Sozialdemokraten und Grünen. Bis es in Kraft trete, könne es, je nach Ausgestaltung, leicht auch Juni werden. In den letzten Tagen wurde bekannt, dass sich auch in Österreich die Einführung eines Impfobligatoriums verzögert – voraussichtlich bis April.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Was Deutschland angeht, haben die christdemokratische Opposition und Medien aller Couleur auch bereits den Schuldigen für den Stillstand ausgemacht: den Kanzler. Scholz behaupte zwar gerne, wer bei ihm Führung bestelle, bekomme sie auch. Tatsächlich verweigere er bei der Impfpflicht die Arbeit und laviere herum. Aufbruch und entschlossenes Handeln, das zentrale Versprechen seiner Ampelregierung, sähen jedenfalls anders aus, so die Kritik.
Obwohl seit Wochen überall im Land zunehmend aggressiv gegen die Impfpflicht protestiert wird, ist es nicht dieser Widerstand, der den SPD-Kanzler zögern lässt. Laut Umfragen stehen stabil mindestens zwei von drei Deutschen hinter dem Vorhaben. Mit Ausnahme der AfD sprechen sich alle Parteien im Bundestag für die Impfpflicht aus, ebenso die Regierungen aller 16 Bundesländer. Zuletzt empfahl selbst der zuvor stets ablehnende Deutsche Ethikrat ein Obligatorium, um die Pandemie abzukürzen.
Scholz’ Problem ist vielmehr, dass er sich der Mehrheit in der eigenen Koalition nicht sicher sein kann. Die FDP, die eine Impfpflicht bis vor kurzem noch pauschal für verfassungswidrig hielt, ist in der Frage gespalten und hat deswegen durchgesetzt, dass diese im Bundestag als «Gewissensfrage» behandelt wird: Die Regierung bringt keine eigene Vorlage ein, deren Fraktionen müssen sich nicht – wie sonst – geschlossen hinter sie stellen. Dank Stimmen der Opposition wäre die Annahme eines fraktionsübergreifenden Antrags dennoch ziemlich sicher.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Scholz hat stets betont, «als Abgeordneter» werde er der Impfpflicht auf jeden Fall zustimmen. Sie voranzutreiben, hält er aber nicht für seine Aufgabe, sondern für die des Bundestags. Es ist jedoch offenkundig, dass der neue Kanzler eine Abstimmung scheut, bei der er sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit in einer entscheidenden Frage dem Wohlwollen von CDU/CSU ausliefern könnte.
Bei der FDP wiederum scheint man darauf zu hoffen, dass sich in der nun auch in Deutschland anhebenden Omikron-Welle so viele Ungeimpfte anstecken, dass eine Impfpflicht danach faktisch überflüssig würde. Vor allem der neue Justizminister Marco Buschmann, ein enger Vertrauter von FDP-Chef Christian Lindner, äusserte sich zuletzt in diesem Sinne. Dass die hochansteckende neue Variante die epidemische Lage verändert, glauben auch viele Expertinnen. Christian Drosten etwa hält Omikron für ein potenziell «post-pandemisches Virus», das den Übergang in eine weniger gefährliche «endemische Phase» einleiten könnte.
Allerdings glaubt Drosten auch, dass in Deutschland dafür die Impflücken immer noch viel zu gross seien. Schliesse man diese nicht, werde man angesichts allenfalls neuer Varianten im nächsten Herbst wieder vor ähnlichen Problemen stehen wie vor der vierten und fünften Welle.
«Wir können nicht warten», sagt auch Karl Lauterbach, der neue Gesundheitsminister der SPD. Eine Durchseuchung als eine Art «schmutzige Impfung» sei keine Alternative zur Impfpflicht. «Ich glaube, dass das sehr viele Menschen schwer krank hinterlassen und auch bleibende Schäden mit sich bringen würde.»
Die Grünen schlagen vor, die bald geltende Impfpflicht für Pflegeberufe auf Feuerwehrleute, Polizistinnen oder Lehrer auszudehnen.
Ob eine Impfpflicht in diesem Sommer notwendig ist, um im nächsten Winter nicht wieder Grundrechte einschränken zu müssen, kann derzeit aber niemand mit Sicherheit sagen. Unter diesen Voraussetzungen scheint eine Zustimmung sowohl der FDP wie auch des Bundesverfassungsgerichts zu einem rechtlich derart schwerwiegenden Eingriff zumindest fraglich. Die Grünen schlagen deswegen vor, lieber schnell die bald geltende Impfpflicht für Pflegeberufe auch auf Feuerwehrleute, Polizistinnen oder Lehrer auszudehnen.
Scholz ist Kanzler geworden, weil die Deutschen ihn für verlässlicher und entschlossener hielten als seinen Konkurrenten Armin Laschet von der CDU. Bei der Impfpflicht ist nun die Frage, wie lange Scholz untätig zusehen kann, bis das Vertrauen in seine Führung nachhaltig leidet – Gewissensfrage hin oder her.
Fehler gefunden?Jetzt melden.