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Meinung

Gastkommentar zur Finanzpolitik
Die Corona-Schulden sollten rasch abgebaut werden

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Die Bundesfinanzen stehen derzeit im Spannungsfeld der Corona-Pandemie. Im Jahr 2020 wurden zur Krisenbekämpfung Ausgaben in Höhe von rund 15 Milliarden Franken getätigt. Im laufenden Jahr rechnet der Bund mit noch leicht höheren Kosten – Ausgaben von über 16 Milliarden werden erwartet. Diese Sonderausgaben führen in den Jahresabschlüssen zu rekordhohen Defiziten und steigenden Schulden.

Dies ist grundsätzlich nicht unvernünftig, denn der Bundeshaushalt nimmt in der Krise eine Stabilisierungsfunktion für die Wirtschaft wahr. Die in der Bundesverfassung verankerte Schuldenbremse verlangt allerdings, dass der Bund seine Ausgaben und Einnahmen über einen Konjunkturzyklus im Gleichgewicht hält. Fehlbeträge müssen kompensiert werden. Die ausserordentlichen Ausgaben werden über die Jahre aufsummiert. Der Bund geht davon aus, dass sich der abzubauende Corona-Betrag per Ende 2022 auf rund 25 Milliarden Franken beläuft.

Doch wie und bis wann soll dieser Betrag abgebaut werden? Der Bundesrat hat zum Abbau dieser Schulden zwei Varianten ausgearbeitet und darüber am 25. August eine Vernehmlassung eröffnet. Wie sind diese zu beurteilen?

  • In Variante 1 wird der Fehlbetrag ausschliesslich durch zukünftige Überschüsse – rund 2,3 Milliarden Franken pro Jahr – ausgeglichen. Neben den ordentlichen Einnahmen sollen hierfür einerseits die Ausschüttungen der SNB und andererseits die Budgetunterschreitungen – diese entstehen durch ungeplante Mehreinnahmen oder Minderausgaben – eingesetzt werden. Die Amortisationsdauer würde bei dieser Lösung voraussichtlich etwa elf Jahre betragen.

  • In Variante 2 muss nur die Hälfte des Fehlbetrags durch künftige Überschüsse ausgeglichen werden. Die fehlenden 12,5 Milliarden werden aus dem Ausgleichskonto verrechnet. Auf diesem Konto werden Über- und Unterschreitungen der Ausgabenlimite gemäss der Schuldenbremse eingetragen. Der Saldo widerspiegelt damit etwa die Schuldenentwicklung. Da die Ausgaben seit der Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2003 meistens tiefer waren als erlaubt, beläuft sich der Stand des Ausgleichskontos auf fast 30 Milliarden Franken. Durch die vorgeschlagene Verrechnung könnten die Sonderausgaben in rund sechs statt in elf Jahren amortisiert werden.

Aus verfassungsrechtlicher und finanzwissenschaftlicher Sicht sprechen drei starke Gründe eindeutig für Variante 2, nämlich:

Erstens bedeutet der Positivsaldo des Ausgleichskontos zum grossen Teil einen bei Einführung der Schuldenbremse nicht beabsichtigten (faktischen) Schuldenabbau. Die Schuldenbremse wurde ausdrücklich nicht als Instrument des Schuldenabbaus ausgestaltet, sondern als Instrument zur Vermeidung einer neuen Überschuldung. Im Vordergrund für den Verfassungsgeber stand klar das Ziel, die bestehenden Bundesschulden möglichst zu stabilisieren.

Anders als für die Abtragung von Fehlbeträgen gibt es für den Abbau von Überschüssen auf dem Ausgleichskonto aber keine Fristen. Einen Überschuss von gegen 30 Milliarden Franken auf Dauer stehen zu lassen, widerspricht aber dem Ursprungskonzept der Schuldenbremse. Diese ist grundsätzlich auf einen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben ausgerichtet.

Dank der Übererfüllung der Schuldenbremse ist ein vollständiger Abbau der Corona-Schulden weder notwendig noch sinnvoll.

Zweitens wird mit Variante 2 die Amortisationsdauer verkürzt. Einerseits kann damit die gesetzlich festgelegte Abtragungslimite von sechs Jahren eingehalten werden. Dies ist ein grosser Vorteil, weil durch eine Verlängerung der Abtragungsdauer die Verbindlichkeit der Schuldenbremse geschmälert und damit die Sparbemühungen über mehrere Legislaturperioden verwässert werden. Es ist aus politökonomischen Gründen nämlich fraglich, ob die Corona-Ausgaben über elf oder mehr Jahre auch tatsächlich abgebaut würden. Denn die Frage ist nicht, ob Schocks auch künftig zu hohen Defiziten führen, sondern wie hoch diese dann ausfallen werden. Folglich ist im Sinn der Regelbindung ein kürzerer, dafür aber verbindlicher Abbau vorzuziehen.

Drittens eröffnet Variante 2 finanzpolitisch wichtige Handlungsoptionen für die Zukunft. Erwartet der Bund künftig nämlich regelmässig hohe Überschüsse, kann er konsequenterweise Steuern senken. Der geplante Einsatz der Überschüsse für den Schuldenabbau unter das Niveau von 2003 ist weder erforderlich noch sinnvoll.

Mit der Einführung der Schuldenbremse ist die Finanzpolitik krisenresistenter geworden. Der konsequente Schuldenabbau der letzten Jahre durch Haushaltüberschüsse eröffnet heute Spielräume. Dank der Übererfüllung der Schuldenbremse in der Vergangenheit ist ein vollständiger Abbau der Corona-Schulden nun verfassungsrechtlich und ökonomisch weder notwendig noch sinnvoll. Es handelt sich bei der zweiten Variante des Bundesrats also keinesfalls um einen «Buchhaltungstrick», sondern um die korrekte und sinnvolle Anwendung des Regelwerks.

* Paul Richli ist em. Ordinarius für öffentliches Recht, Agrarrecht und Rechtsetzungslehre an der Universität Luzern sowie ehemaliger Rektor. Christoph A. Schaltegger ist Ordinarius für Politische Ökonomie und Gründungsdekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Luzern. Michele Salvi ist Doktorand an der Universität Luzern.