TV-Kritik «Tatort»Die beförderte Kommissarin schiesst daneben
Im neuen Bundespolizei-Fall macht Julia Grosz Karriere – ist aber ebenso überfordert wie das Publikum.

Russische Waffenhändler? Nein, das sind keine sadistisch grinsenden Gauner. Das sind höchst kultivierte Menschen, da wird fleissig Tolstoi gelesen und als Hausmusik Schostakowitsch gespielt. Es gibt zwar ein paar dunkle Geheimnisse, aber auch dafür ist gleich das passende «Anna Karenina»-Zitat zur Hand: «Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.»
Bevor wir aber in das Unglück der in Hamburg wohnhaften Waffenhändlerfamilie Timofejew eingeweiht werden, kommt in diesem «Tatort» schon einiges zusammen: Ein offenbar im Dienst umgekommener Polizist wird beerdigt. Julia Grosz wird zur Hauptkommissarin befördert und leitet sofort eine komplexe Zugriffsaktion der Bundespolizei, was sie allerdings zu überfordern scheint. Ihr Kollege (und Ex-Vorgesetzter) Thorsten Falke erledigt auf der Strasse derweilen Dreckarbeit für sie.
Ein Knall wie in Hollywood
Das ergibt in den ersten Krimi-Minuten bereits enorm viele Akteure und wilde Schnitte zwischen den Zeitebenen. Alles löst sich dann irgendwie in einem heftigen Knall auf, wie er sonst eher im Hollywoodfilm vorkommt: Ein Flugzeug explodiert in der Luft – und ab jetzt ist endlich Platz für die Familie.
Aber «Tatort»-Routinier Niki Stein, der sein eigenes Drehbuch inszeniert, bekommt die hoffnungslos überladene Folge nie in den Griff. Als Schlüsselfigur wird noch eine abtrünnige Tochter des Waffenhändler-Clans eingeführt, die jetzt undercover für die Polizei arbeitet und – Zufälle gibts – einst ein Schützling von Kommissar Falke war. Aber ist ihr zu trauen?

So wird in «Macht der Familie» fleissig überwacht, bespitzelt, verfolgt. Aber wer ist jetzt mit wem verbündet, und wer spielt ein doppeltes Spiel? Das ist eigentlich bald egal, keine Figur wächst einem wirklich ans Herz. Und als gegen Schluss eine weitere Partei auftaucht, noch böser, noch bedrohlicher, wird es erst recht konfus. Nur die russischen Klassiker bleiben: Einer der Killer zitiert, bevor er sein Gewehr anlegt, noch eine Passage aus «Aufzeichnungen eines Jägers» von Iwan Turgenjew.
Eine misslungene Jagdpartie, auf alle Fälle, bei der auch Profis aus nächster Nähe ihr Ziel verfehlen. Doch deswegen soll das jetzt auf gleicher Hierarchiestufe operierende Duo Grosz/Falke nicht abgeschrieben werden: Der langjährige Hauptkommissar hat die einzige wirklich lustige Szene im Film. Und die Hauptkommissarin, die 85 Minuten lang fast nur verunsichert wirkt, trifft zum Schluss, wenn es ganz brenzlig wird, doch noch. Wie um zu sagen: Wartet nur, ich kann es schon.
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