Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Russische Angriffe
Die Antwort der Ukraine auf Putins Bombenhagel

Männer reparieren eine Leitung im Zentrum Kiews, die bei den Raketenangriffen von Montag dieser Woche beschädigt wurde. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Einwohner Kiews müssen jetzt gründlich überlegen, wann sie Waschmaschine oder Warmwasserboiler anstellen – oder ob sie überhaupt Strom zur Verfügung haben. Nach den schwersten russischen Raketenangriffen auf ukrainische Städte seit Kriegsbeginn sind auch in Kiew Stromliefer- und Heizsysteme schwer beschädigt.

Präsident Wolodimir Selenski bat die Ukrainer, in der Stosszeit zwischen 17 und 22 Uhr auf unnötigen Energieverbrauch zu verzichten. Postwendend meldeten die Stromwerke am Dienstagmorgen einen Rückgang des Verbrauchs um gut ein Viertel. Gleichwohl begannen die Stromwerke am Dienstag, ganzen Stadtteilen für jeweils vier Stunden den Strom abzuschalten.

Kaputte Infrastruktur

Laut dem ukrainischen Generalstab und Militärgeheimdienst hat Russland mit zehn Langstreckenbombern und sechs Raketenkreuzern der Schwarzmeerflotte sowie von russischen Stellungen in Weissrussland mindestens 84 Marschflugkörper und Raketen sowie 24 bewaffnete Drohnen auf 20 ukrainische Städte abgeschossen. Bisher stehen 14 Tote fest, Dutzende Menschen wurden verletzt.

Mindestens 70 Bomben trafen: etwa 35 Mehr-Etagen-Wohnhäuser und 29 Infrastrukturobjekte: Stromwerke, Umspannwerke, Heizkraftwerke, aber auch Telekommunikationsanlagen. Von Lwiw im Westen bis Charkiw in der Ostukraine arbeiteten Einsatzkräfte am Dienstag weiter daran, nicht nur Strom und Heizung wiederherzustellen, sondern auch ausgefallenes Telefonnetz und Internet. Die Ukrainer machten sich indessen mit Bildern wie denjenigen aus der Kiewer U-Bahn Mut, auf denen junge Mädchen trotzig ukrainische Volkslieder singen.

Russlands Präsident Wladimir Putin gab die Angriffe als angebliche Antwort auf den Bombenanschlag auf die Krimbrücke am 8. Oktober aus. Doch laut dem ukrainischen Militärgeheimdienst GUR sollen die Angriffe schon für den 2. und 3. Oktober befohlen worden und nur wegen ausgeweiteten Umfanges um mehrere Tage verschoben worden sein. Die Bombenkampagne trage die Handschrift des von Putin am Samstag auch offiziell zum Kommandanten des Ukraine-Krieges ernannten Generals Sergei Surowikin – er verfolgte schon als russischer Befehlshaber in Syrien 2017 eine ähnliche Strategie, auch zivile Ziele massiv zu bombardieren.

Luftabwehr des letzten Jahrhunderts

Eine positive Nachricht inmitten der Meldungen über Tod und Zerstörung bedeuten – so sie denn stimmen – die Angaben des ukrainischen Generalstabes, mit 43 Marschflugkörpern und 16 Drohnen sei mehr als die Hälfte der russischen Bombenträger abgeschossen worden. Zu Kriegsbeginn schossen die Ukrainer gerade 3 Prozent russischer Raketen ab, sagte Militäranalystin Alina Frolowa dem «Kyiv Independent». Gleichwohl verfügt die Ukraine laut Oberbefehlshaber Waleri Saluschni nur über zu wenige alte Abwehrsysteme aus sowjetischer Zeit.

Ein beschädigtes Wohngebäude in Saporischschja. 

Präsident Selenski möchte von US-Präsident Joe Biden und anderen westlichen Ländern moderne Luftabwehrsysteme. Washington will der Ukraine zwei mit Norwegen entwickelte Nasams-Systeme schicken, die auch Marschflugkörper abschiessen können – Norwegen selbst hat der Ukraine bereits solche Systeme übergeben. Auf der Wunschliste der Ukrainer stehen laut Frolowa auch Thaad-Systeme und seegestützte Aegis-Systeme.

Jeremy Fleming, Chef der britischen Spionagezentrale GCHQ, verbreitete am Dienstag in englischen Medien, dass den Russen für den Ukraine-Krieg «die Munition ausgeht». Ob dies zutrifft, ist zweifelhaft. Zwar haben Denkfabriken wie das Zentrum für europäische Politikanalyse (Cepa) geschildert, dass Russlands Marschflugkörper und andere Raketen herstellende Rüstungsfabriken ihre Produktion nicht schnell beliebig hochfahren können.

Genügend Geld für den Krieg

Doch die westliche Hoffnung, Russland könnten die für Marschflugkörper notwendigen Computerchips und andere westliche Hochtechnologie ausgehen, die Russland nicht selbst herstellen kann, hat sich schon nach Sanktionen im Gefolge der Krim-Annexion nicht erfüllt. Und sowohl der Cepa-Report wie auch Anfang September veröffentlichte Erkenntnisse der englischen Forschungsgruppe Conflict Armament Research, die in der Ukraine sichergestellte russische Raketenreste untersuchten, geben keinen Grund zur Beruhigung.

Russland hat nach 2014 weiter von US-Firmen und anderen Produzenten hergestellte Steuerungsplatinen und Spitzentechnik bezogen – offenbar über Mittelsmänner oder auch, indem es für andere Zwecke gedachte Hochtechnologie zur Steuerung seiner Marschflugkörper umwidmete. Zudem hat der Kreml genug Geld, um den Krieg noch hochzufahren: Dank Rekorderlösen durch Gas und Öl hat Russland allein 2022 bisher knapp 195 Milliarden Euro eingenommen. Nach Angaben der Zentralbank betrug der Haushaltsüberschuss allein von Januar bis Mai umgerechnet 27 Milliarden Dollar.