Krieg in ÄthiopienDie Angst der Schweiz vor einem neuen «Pulverfass» in Afrika
Der Bund verfolgt mit Sorge, wie das lange stabile Äthiopien im Konflikt zwischen Regierung und Rebellen versinkt. Es geht dabei auch um mögliche Flüchtlingsströme.
Die meisten Europäerinnen und Europäer sind schon vor einigen Wochen abgereist, und auch der Aufruf des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist unmissverständlich: Schweizer Staatsangehörige sollten Äthiopien verlassen, möglichst bald. «Im Falle einer weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage kann eine sichere Ausreise nicht mehr garantiert werden», heisst es auf der Website des EDA.
Es herrscht Bürgerkrieg im Vielvölkerstaat am Horn von Afrika, vom Westen lange Zeit als Hort der Stabilität in einer instabilen Region gepriesen. Er begann damit, dass Soldaten der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) im November 2020 einen Armeestützpunkt im Norden des Landes angriffen. Die Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed reagierte darauf mit einer Militärkampagne gegen die TPLF, die Äthiopien zuvor fast drei Jahrzehnte lang regiert hatte.
Die Kämpfe intensivierten sich, nachdem die Soldaten der TPLF den Regierungstruppen im Sommer eine schwere Niederlage in der Region Tigray zufügten und darauf nach Süden in Richtung der Hauptstadt Addis Abeba vorstiessen. Zuletzt wendete sich das Blatt wieder zugunsten der Regierung, seit diese laut «New York Times» auf Kampfdrohnen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Türkei und dem Iran zurückgreifen kann.
Eine volatile Situation also, unter der die äthiopische Bevölkerung leidet – und für die laut Beobachtern keine rasche Lösung absehbar ist. Dabei fehlt es nicht an Vermittlungsversuchen der internationalen Gemeinschaft. Versuche, an denen sich auch die Schweiz beteiligt, wie es beim EDA heisst: «Die Schweiz hat wiederholt alle am Konflikt beteiligten Parteien zur Deeskalation aufgerufen und die Notwendigkeit einer politischen Lösung des Konflikts betont.»
Schweizer Angebote finden kein Gehör
Verbunden waren diese Aufrufe laut EDA mit dem Angebot, Vermittlungsgespräche zu unterstützen. «Die Schweiz hat zudem gegenüber der Afrikanischen Union (AU) ihre Bereitschaft signalisiert, die Mediationsbemühungen des AU-Sondergesandten Olusegun Obasanjo zu unterstützen. Die Konfliktparteien sind aber auf diese Angebote der Schweiz und ähnliche Vorschläge anderer internationaler Partner bisher nicht eingegangen.»
Auch bei anderen Bundesstellen verfolgt man die Entwicklung mit Sorge. Das gilt besonders für das Staatssekretariat für Migration (SEM). Der scheidende Direktor Mario Gattiker spricht gegenüber dieser Zeitung von einem «Pulverfass». Bisher verzeichnet das SEM keinen Anstieg der Asylgesuche von Äthiopierinnen und Äthiopiern. Doch spitze sich die Situation weiter zu, könnten laut Gattiker viele Menschen das Land verlassen – auch solche aus anderen Staaten.
Äthiopien beherbergt nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen knapp 800’000 Flüchtlinge, namentlich aus Eritrea, Somalia und dem Südsudan. Viele leben in einem der 24 Flüchtlingscamps, die über das Land verteilt sind.
Rückführungen nach Äthiopien gestoppt
Das SEM hat bereits auf die verschlechterte Sicherheitslage reagiert. Noch Ende Januar hielt der Bund Rückschaffungen von abgewiesenen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern für grundsätzlich vertretbar, wie ein SEM-Sprecher damals gegenüber SRF festhielt. Inzwischen hat das SEM sämtliche Rückführungen nach Äthiopien bis auf weiteres sistiert.
Die Schweiz hatte ihre Unterstützung für Äthiopien in den vergangenen Jahren mehrfach verstärkt, so wie viele andere europäische Staaten auch. Simonetta Sommaruga besuchte das Land 2015 als Bundespräsidentin in Begleitung einer Delegation der Schweizer Wirtschaft. Äthiopien sei ein «Schlüsselstaat» und «Stabilitätsanker in der Region», so Sommaruga. Das Land stand damals unter der Führung einer von der TPLF geführten Koalition, die für ein starkes Wirtschaftswachstum sorgte, aber gegen Oppositionelle mit harter Hand vorging.
Auch die neue Regierung von Ministerpräsident Abiy wurde zunächst vom Westen begrüsst. Abiy erhielt für die Beendigung des langjährigen Kriegs zwischen Äthiopien und Eritrea 2019 sogar den Friedensnobelpreis. Seit Ausbruch des laufenden Konflikts sind viele Staaten jedoch auf Distanz zu seiner Regierung gegangen. Trotz eines faktischen Medienembargos gibt es immer wieder Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Massaker gegen die Zivilbevölkerung durch Streitkräfte beider Konfliktparteien.
Ihre Botschaft in der Hauptstadt Addis Abeba betreibt die Schweiz inzwischen mit reduziertem Personalbestand. «Die Schweizer Aktivitäten in den Bereichen humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit laufen weiter», schreibt das EDA. Seit Ausbruch des Konflikts hat die Schweiz die humanitäre Hilfe auf 10 Millionen Franken aufgestockt.
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