AboStimmung in RusslandDie Angst der Bevölkerung wächst
Wladimir Putin wollte feiern, also wurde ein nicht ganz freiwilliges Publikum zum Roten Platz gekarrt. Jubeln wollte am Ende kaum jemand, wie auch, wenn es den Leuten immer schlechter geht.
Wladimir Putin hat Glück, wenn es nicht regnet. Eben erst hat er im Grossen Kremlpalast gesprochen, in diesem schlossartigen Gebäude mit seiner Fassade voller Fenster, durch die man nicht hineinsehen kann. Dort drin hat Putin den Westen eine Diktatur genannt, seine Werte satanistisch. Die mächtigsten Menschen Russlands haben seiner Hassrede mit regungsloser Miene zugehört. Sollte das nicht eigentlich ein Feiertag sein?
Am Ende rief Putin «Rossija, Rossija!», sein Hofstaat stimmt hölzern ein. Später auf dem Roten Platz hofft Putin sicher auf grösseren Jubel. Seit Stunden schon spielen dort Bands patriotische Lieder, Putins Auftritt ist als Programmhöhepunkt geplant. Gefeiert wird die Annexion vier weiterer ukrainischer Gebiete. Man wünscht sich fast, dass der Kremlherrscher jetzt aus einem der vielen Palastfenster auf die Strasse schaut, zwischen Kremlmauer und Flussufer. Dann könnte er die Menschenmassen sehen, die schon jetzt nach Hause strömen, weg von der Bühne, bevor Putin dort überhaupt gesprochen hat.
Manche tragen an diesem Freitag russische Flaggen mit sich, alle gleich gross, alle hängen an denselben hellen Fahnenstangen. Das Publikum ist am Nachmittag busseweise zum Roten Platz gebracht worden. Viele der nicht ganz freiwilligen Zuschauer sind Studentinnen und Studenten staatlicher Unis oder Angestellte staatlicher Unternehmen. Jetzt mischt sich Dämmerung mit Regenwolken, und offenbar haben die Ersten keine Lust mehr, auf Putin zu warten.