Deutscher Lokführer-Boss Verhandeln? Lieber streikt er
Claus Weselsky ist der eigentliche Grund, warum der Arbeitskampf eskaliert. Mit dem Rekordstreik setzt sich der Gewerkschaftschef sein eigenes Denkmal.
Es ist sein letzter Kampf, der letzte eines kämpferischen Lebens: Seit 16 Jahren führt der Sachse Claus Weselsky die Lokführergewerkschaft GDL, im Herbst tritt der bald 65-Jährige ab. Das Trauerspiel «Weselsky gegen die Deutsche Bahn» fasziniert die Medien seit Jahren – und stürzt deren Kunden ebenso verlässlich in Verzweiflung. Der Boss will mit Blitz und Donnerschlag verschwinden. Kritische Stimmen meinen, der Berserker sei daran, sich sein eigenes Denkmal zu setzen.
Weselskys Ziel ist simpel: Der Tarifvertrag, den er für seine Lokführer mit der Deutschen Bahn gerade verhandelt, soll die Erfolge aller anderen Gewerkschaften der Branche in den Schatten stellen. Der Kleine will es den Grossen zeigen. Denn eigentlich ist die GDL eine Mini-Gewerkschaft mit höchstens 40’000 Mitgliedern. Die verhasste Konkurrenz von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist vier- bis fünfmal so gross.
Gewerkschaft kämpft ums Überleben
Dieser Konkurrenzkampf ist der tiefere Grund für Weselskys Aggressivität: Der GDL geht es nicht nur um höhere Löhne und tiefere Arbeitszeiten (bei gleichem Lohn selbstverständlich), sie kämpft um ihr eigenes Überleben. Sie ist verdammt, über die Kernklientel der Lokführer hinaus zu wachsen, will sie angesichts der EVG nicht untergehen. Weselsky muss den Angestellten der Deutschen Bahn beweisen, dass sich ein Mittun bei der GDL mehr lohnt als beim Rivalen.
Weil ohne Lokführer kein Zug fährt, hat der Gewerkschafter einen gewaltigen Hebel in der Hand: 20’000 Lokführer blockieren in Deutschland mit einem Streik 5 bis 7 Millionen Passagiere – pro Tag. Kaum eine andere Berufsgruppe verfügt über eine ähnliche Macht. Man würde erwarten, diese besondere Blockademacht verpflichte, sie besonders verantwortungsvoll einzusetzen, um das gesellschaftliche Klima nicht unnötig zu vergiften. Doch Weselsky und seine Truppe denken nur an sich selbst.
Der Streik, Weselskys erstes Mittel im Arbeitskampf
Laut Arbeitsrecht ist der Streik das letzte Mittel in einem Arbeitskampf – für Weselsky eher das erste, mit dem er den Ton setzt. Erst zweimal hat er mit Martin Seiler von der Deutschen Bahn bisher verhandelt, während seine Lokführer bereits zum vierten Mal streiken. Weselsky beschimpft die Konzernchefs gerne als «Nieten in Nadelstreifen» und «Vollpfosten» – bei seinen Leuten, die ihn als ihren «Kettenhund» und «Schutzpatron» feiern, kommt das hervorragend an. In der Sache sind die Kontrahenten nicht sehr weit auseinander: Ein Schlichter von aussen würde wohl rasch einen Kompromiss finden.
Stattdessen streiken die Lokführer nun sechs Tage am Stück – ein Rekord, auf den Weselsky gewiss stolz ist. Aber vielleicht geht da noch mehr? Die volkswirtschaftlichen Schäden, die sein Vorgehen anrichtet, sind ihm egal: mindestens 100 Millionen Euro im Tag, eine Milliarde in einer Woche. Dass ihm Medien von links bis rechts «Masslosigkeit» und «Grössenwahn» vorwerfen und meinen, er beschädige die bewährte Sozialpartnerschaft, ficht ihn nicht an. Die Rufe aus der Politik, das Streikrecht in kritischen Infrastrukturen wie dem Verkehr einzuschränken, ignoriert er. Soll sich sein Nachfolger damit herumplagen.
Ein letztes Ei gelegt?
Auch Weselskys letzter Trick könnte der GDL noch um die Ohren fliegen. Die Gewerkschaft hat eine eigene Genossenschaft gegründet, die Lokführer zu besseren Konditionen anstellt – und dann an die an Lokführern besonders knappe Deutsche Bahn zurückverleiht, um diese noch stärker unter Druck zu setzen. Viele Arbeitsrechtler halten das Vorgehen für rechtswidrig, weil die GDL damit als Arbeitgeber und Gewerkschaft zugleich auftritt. Die Bahn klagt bereits. Bis es zum Prozess kommt, ist Weselsky längst im Ruhestand.
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