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Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und Fragen
Der Ukraine gehen die Prothesen aus

Der verwundete ukrainische Soldat Roman Hryhorian, der in den Kämpfen einen Arm und ein Bein verloren hat, während der Reha in der Protez-Klinik in Oakdale.
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Zahlreiche verwundete ukrainische Soldaten und Soldatinnen kehren täglich von der Front zurück. Und vielen von ihnen fehlen Arme, Beine, teilweise Hände oder Füsse. Versteckte Landminen haben ihnen ihre Gliedmassen weggesprengt, manchmal wurde den Soldaten und Soldatinnen auch in einem Artilleriegefecht oder bei einem Nahkampf ein Körperteil geraubt.

Tausende Menschen haben im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine komplexe Verletzungen wie Amputationen, Rückenmarkverletzungen, traumatische Hirnverletzungen und Verbrennungen erlitten und benötigen Rehabilitationsdienste, wie hochrangige Beamte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im März an einer Medienkonferenz sagten.

Die Ressourcen sind knapp

Deswegen ist auch die Nachfrage nach Prothesen und Rehabilitationsplätzen seit der Invasion Russlands in der Ukraine massiv gestiegen: Das deutsche Unternehmen Ottobock, gemessen am Marktanteil der grösste Prothesenhersteller der Welt, verkaufte in der zweiten Jahreshälfte 2022 doppelt so viele Fussprothesen wie im gesamten Jahr 2021, sagte Geschäftsführer Oliver Jakobi der Nachrichtenagentur Reuters.

Ukrainische Soldaten lernen in Minnesota den Umgang mit ihren Prothesen.

Die Ukraine kann die gestiegene Nachfrage nach Prothesenversorgung für die Kriegsverletzten nur unzureichend decken. «Es gibt wirklich einen Mangel an Orthopädietechnikern, weil jeden Tag eine grosse Anzahl von Menschen mit Prothesen versorgt werden muss», sagte der ukrainische Gesundheitsminister Viktor Liashko.

Wie viele der verletzten Soldaten Körperteile verloren haben, ist nicht bekannt. Die Ukraine ist mit Zahlen zu verwundeten Soldaten sehr zurückhaltend. Ukrainische Spitäler vermelden aber einen deutlichen Anstieg an Amputationsbehandlungen. Die Zahl der Patienten, die Prothesen benötigten, habe sich in seinen Kliniken verdreifacht, sagte Nagender Parashar, dem in der Ukraine neun Spitäler gehören. Zurzeit arbeiten 25 Prothesenspezialisten in seinen Kliniken. Um der Nachfrage nachzukommen, benötige er aber 75 weitere Ärzte und Ärztinnen.

Über das ukrainische Gesundheitsministerium erfuhr Roman Hryhorian vom Programm in Minnesota.

Laut Ivona Kostyna, der Vorsitzenden der gemeinnützigen Organisation Veteran Hub, die Ressourcen für ukrainische Soldaten und Veteranen bereitstellt, verhindert der Mangel an Rehaspezialisten, dass die Verwundeten ein Höchstmass an Mobilität aufrechterhalten können. «Wenn die Soldaten stabilisiert sind, liegen sie unter Umständen nur noch im Bett, anstatt aktiv die Funktionsfähigkeit ihres Körpers wiederherzustellen. So verlieren sie wertvolle Zeit für ihre Genesung», sagte sie der «Washington Post».

Von der Ukraine nach Minnesota

Inzwischen werden viele ukrainische Soldaten, Soldatinnen und Zivilisten, die einen Körperteil verloren haben und Prothesen benötigen, über gemeinnützige Organisationen ins Ausland gebracht, allen voran in die USA. Einige kommen ins Walter Reed Hospital in Maryland, wieder andere werden nach New York geflogen, und viele Verwundete finden ihren Weg nach Minnesota in die Protez-Klinik, die sich auf Amputationen spezialisiert hat.

Seit letztem Sommer therapiert die gemeinnützige Organisation Protez verwundete Ukrainer und Ukrainerinnen. Bis März 2023 hätten sich fast 800 Menschen aus der Ukraine für Hilfe angemeldet, sagte Yakov Gradinar, leitender Arzt von Protez, der  «The New York Times», deren Fotograf die Klinik besucht hatte. Während in anderen Prothesenkliniken die Programme von der Herstellung der Prothesen über die Physiotherapie bis hin zur Entlassung manchmal Monate dauern, bleiben die Patienten und Patientinnen bei Protez nur etwa drei Wochen. «Es ist ein stark beschleunigter Prozess: vom Rollstuhl bis zur Rückreise nach Hause.»

Rund drei Wochen dauert das Intensivprogramm in der Reha-Klinik in Minnesota.

Einigen Patienten, wie einem Zivilisten, der seinen Arm bei den Kämpfen in Butscha verloren hatte, sei selbst das zu lang vorgekommen, sagte Gradinar. «Er meinte: ‹In fünf Tagen muss ich wieder in der Ukraine sein. Der Winter steht vor der Tür und ich muss mich um die Bedürfnisse der Stadt kümmern›», erinnerte sich der Arzt.

Ein Freiwilliger, der in der Klinik mit den Verwundeten zusammenarbeitet, sagte der «The New York Times», es sei eine unglaubliche Verwandlung, die die Menschen in der Klinik innerhalb von drei bis vier Wochen durchmachten: «Diese Soldaten kommen in ihren Rollstühlen an, mit einem gebrochenen Geist, mit fehlenden Gliedmassen. Ihr Leben ist verkrüppelt – man kann es in ihren Augen sehen. Innerhalb von zwei bis drei Tagen sind sie in der Lage zu stehen und ihre ersten kleinen Schritte zu machen. Und dann können sie wieder laufen.»

Die ukrainischen Soldaten während eines Ausflugs zur Golden Gate Bridge in Kalifornien.

Die Nachfrage nach Prothesen wird vorerst nicht zurückgehen: Gemäss Medienberichten plant die Ukraine gross angelegte Gegenoffensiven. Doch auch an der Front soll es an allerlei Dingen fehlen. Etliche Soldaten berichteten von einem dramatischen Mangel an Ausrüstung und hohen Verlusten. Der Frontreporter Juri Butusov vom Infodienst Censor sieht baldige Gegenangriffe deshalb skeptisch: Erst einmal müsse die Ukraine organisatorische Probleme und den Mangel an Munition lösen, bevor sie «angreifen und siegen» könne.