Isle of Man Tourist TrophyDer Tod lauert an jeder Ecke
Das gefährlichste Motorradrennen der Welt hat bereits wieder drei Todesopfer gefordert – und begeistert dennoch Fans wie Fahrer. Warum eigentlich?
261, 262, 263 – der makabre Zähler läuft wieder, jetzt, wo die Pandemie die Tourist Trophy (TT) auf der Isle of Man nicht mehr verhindert. Drei Namen sind in den vergangenen Tagen auf der Liste der tödlich verunglückten Fahrer dazugekommen. Mark Purslow, 29, aus Wales am letzten Mittwoch im Supersport-Qualifying, Seitenwagen-Fahrer César Chanal aus Frankreich drei Tage später, und schliesslich am Montag im ersten Supersport-Rennen der Nordire Davy Morgan, bei seinem 80. Start.
Der Fall von Morgan zeigt, dass der Tod auch bei Routiniers quasi an jeder Ecke lauert. Morgan, 52, TT-Debüt vor 20 Jahren, war ein erfahrener Pilot, angesehen und beliebt bei den anderen Fahrern, auch weil er gern seine Hilfe anbot. Er hatte in der jüngeren Vergangenheit mit dem Gedanken gespielt, dem Sport den Rücken zu kehren, doch die Erfahrung während der Pandemie brachte ihn davon ab. 2020 sagte er: «Ich hatte die Gelegenheit zu sehen, wie es ohne Motorräder wäre, und ich bin froh darüber, dass ich weitermache. Denn wenn ich entschieden hätte, dass ich aufhöre, hätte ich mir selbst in den Hintern getreten.»
Während zwei Jahren hatte das seit 1907 ausgetragene und damit älteste Motorradrennen der Welt pausieren müssen, seit dem 29. Mai rasen die Wagemutigen wieder über die zwischen Nordirland und England gelegene Insel in der Irischen See. Was diesen Höllenritt auf dem 60,725 km langen Snaefell Mountain Course so spektakulär wie gefährlich macht, zeigt ein einfacher Vergleich.
Der Rundenrekord von Peter Hickman aus dem Jahr 2018 liegt bei 16:42,778 Minuten, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 217,989 km/h entspricht. Fabio Quartararo brachte es bei seinem Sieg in der MotoGP am Sonntag in Montmeló im Mittel auf 165,5 km/h. Die Fahrer der Motorrad-WM jagen sich auf breiten Rennstrecken mit Auslaufzonen und Reifenstapeln, wer über die Isle of Man donnert (gestartet wird einzeln und zeitversetzt), tut dies auf normalen Strassen mit all ihren Eigen- und Unebenheiten, passiert Hauswände, Mauern, Böschungen, Senken, Abhänge, Zäune, Randsteine, blinde Kurven – und da und dort ein paar Strohballen.
Die Veranstalter bemühen sich, die Risiken zu minimieren, so gut es eben geht. Ende November präsentierten sie ein neues Sicherheitsmanagementsystem mit zahlreichen Verbesserungen, von der Schulung der Streckenposten über die Reaktion auf Unfälle, die Schutzausrüstung für Fahrer bis zur medizinischen Betreuung. Projektleiter Nige Crennell sagt: «Um die TT langfristig zu erhalten, müssen wir in der Lage sein, die mit der Veranstaltung verbundenen Risiken effektiv zu managen und uns vor Rufschädigung zu schützen.» Aber natürlich weiss auch er: Wenn jemand an der falschen Stelle die Kontrolle über seine Maschine verliert, hilft auch das beste Konzept nichts.
Die Faszination für dieses Rennen ist ungebrochen, um die 40’000 Fans belagern die Strecke jährlich, und die Fahrer kommen immer wieder. Auf Aussenstehende mag dieser Tanz auf der Rasierklinge reichlich absurd wirken. Warum freiwillig sein Leben aufs Spiel setzen für diesen Adrenalinkick? Die Erklärungen der Teilnehmenden ähneln sich.
«So eine Strecke gibt es nur einmal auf diesem Planeten. Als Rennfahrer musst du das einfach erlebt haben.»
Der Berner Oberländer Lukas Maurer, der erneut dabei ist, sagte vor seinem Debüt 2019: «So eine Strecke gibt es nur einmal auf diesem Planeten. Als Rennfahrer musst du das einfach erlebt haben.» Dass ein Fahrfehler tödlich enden kann? Ist ihm klar, aber: «Genau das macht eben einen gewissen Reiz aus, den nur Motorsportler verstehen können.» Nach der Premiere, die er als bester Neuling überstanden hatte, sagte er: «Eigentlich wusste ich es schon vorher, aber jetzt bin ich mir sicher: Es ist die geilste Motorradrennstrecke der Welt.»
Der Österreicher Horst Saiger beschrieb es dem «Spiegel» 2013 so: «Die Isle of Man, das ist nicht irgendein Strassenrennen. Das ist, als wenn du aus deiner Dorfkirche kommst und plötzlich im Kölner Dom singst.» Marcel Fässler, zurückgetretene Schweizer Motorsport-Grösse, sagte im vergangenen Jahr zur «Automobil Revue», dass er einmal als Zuschauer dabei sein wolle: «Zur Isle of Man TT muss ich unbedingt! Wer den Rennsport liebt, der muss bei diesem geilen Rennen einmal dabei gewesen sein.»
Gerade für die Zuschauer ist es ein ambivalentes Vergnügen. Treffend formuliert das Motorrad-Journalist Simon Patterson, der auch die diesjährige Ausgabe begleitet: «Es ist der totale Irrsinn, wenn man seinen Freunden bei der TT zuschaut. Es gibt nichts, was ich im Leben je erlebt habe, das grössere Höhen und schlimmere Tiefen mit sich bringt. Es ist das Beste und das Schlimmste. Ich hasse es regelmässig, dass ich es liebe.»
261, 262, 263 …
In einer ersten Version schrieben wir, dass das zweite Todesopfer der diesjährigen Ausgabe Seitenwagen-Beifahrer Olivier Lavorel gewesen sei. Wie sich nun herausgestellt hat, wurde dieser fälschlicherweise für tot erklärt. Die Organisatoren teilten am Mittwoch mit, dass es Fahrer César Chanal gewesen sei, der am Samstag ums Leben kam. Es sei bei der Identitätsfeststellung zu einem fatalen Fehler gekommen. Offenbar hatte Chanals Mutter den Irrtum bemerkt, als sie ihren Sohn im Spital in Liverpool besuchen wollte und dort Lavorel vorfand. Dieser befindet sich nach wie vor in kritischem Zustand.
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