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Eishockey-Champion Servette
Früher verteilten sie Gratis-Tickets, jetzt sind sie Schweizer Meister

Ausgelassener Jubel über den ersten Meistertitel in der Vereinsgeschichte.
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118 Jahre lang musste sich Genf gedulden. War achtmal als Finalist gezwungen, zuzuschauen, wie der Gegner den Pokal stemmte, zuletzt im Frühjahr 2021. Doch nun macht Servette Schluss mit der Dominanz der Branchengrössen aus Zug, Bern, Zürich, Davos und Lugano, die alle Titel im 21. Jahrhundert unter sich ausgemacht haben. Und streift auch das Klischee der zu weichen Welschen ab. Erstmals nach dem HC La Chaux-de-Fonds vor 50 Jahren geht der Titel wieder in die Romandie. Das ist Balsam für das angekratzte Genfer Selbstbewusstsein.

In den letzten Jahren geriet die Stadt immer wieder in die Negativschlagzeilen. Da war die Affäre um den ehemaligen Staatsrat Pierre Maudet sowie im Sport der Konkurs des Fussballclubs 2015 und die drohende Insolvenz des Eishockeyvereins drei Jahre später. Beiden Vereinen stand der umstrittene Hugh Quennec als Präsident vor. Heute ist der Genève-Servette Hockey Club im Besitz der gemeinnützigen Stiftung des 1960 verstorbenen Rolex-Gründers Hans Wilsdorf. Sie alimentiert auch den Fussballverein. Der starke Mann ist der 64-jährige Financier und Winzer Didier Fischer. Unter ihm kehrten Ruhe und Stabilität zurück. Dennoch fällt es schwer, Schweizer Nationalspieler nach Genf zu locken.

Da sind die langen Busreisen, der hohe Steuersatz und nicht zuletzt die schäbige Infrastruktur. Während andere in der Zwischenzeit über eine neue oder renovierte Arena verfügen, steht der Gastronomie in der 65-jährigen Les-Vernets-Halle nicht einmal eine Küche zur Verfügung. Seit zwei Jahrzehnten wird über ein neues Stadion debattiert, das Vorhaben scheiterte aber stets an der Politik. 

Genf setzt auf Top-Ausländer

Sportdirektor Marc Gautschi versucht, die Nachteile mit teurem, ausländischem Personal wettzumachen. Mit Spielern, die sich um die Infrastruktur im Sport foutieren, die aber die Lebensqualität und die Nähe zum Flughafen zu schätzen wissen. Die glücklich sind, ihre Kinder in eine internationale Schule schicken zu können. Gautschi profitiert dabei freilich von der Erhöhung der Anzahl Ausländer von vier auf sechs pro Team.

Die Genfer stellten sechs Weltklasseausländer, darunter Olympiasieger, Weltmeister und Stanley-Cup-Sieger. Henrik Tömmernes, der nun nach Frölunda zurückkehren wird, gehört zu den besten Verteidigern Europas. Sami Vatanen war im Powerplay eine Wucht. Teemu Hartikainen, der nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht mehr länger in Russland spielen mochte, begeisterte an der Seite Linus Omarks. Und Daniel Winnik und Valteri Filppula gehörten schon die ganze Saison über zu den zuverlässigsten Skorern. 

Doch auch die Schweizer überzeugten. Vincent Praplan fand nach schwierigen Jahren in Bern und Kloten zu alter Stärke zurück. Tanner Richard steigerte seine Punkteausbeute im Playoff abermals. Und Torhüter Robert Mayer, vor zwei Jahren in Davos zum Sündenbock gestempelt und in den ersten drei Viertelfinalpartien noch überzählig, wuchs schlicht über sich hinaus. Wie gut das Team bestückt ist, zeigt der Blick auf die vierte Linie, die mit Bertaggia, Pouliot und Smirnovs über so viel spielerische Klasse verfügt wie noch selten in einer Mannschaft zuvor.

Der Erfolg ist nicht zuletzt auch das Verdienst des Trainers Jan Cadieux, des Sohns des legendären Paul-André. Der akribische Schaffer behielt auch in kritischen Phasen den Überblick, ist selbstlos und überliess das Scheinwerferlicht stets seinen Spielern. Sein Team überzeugte mit kompromisslosen Angriffen. Cadieux ist nach dem sechsfachen Meister Arno Del Curto sowie Lars Leuenberger der erst dritte gebürtige Schweizer Trainer, der im Playoff-Zeitalter ein Team zum Titel führt.

Ohne McSorley kein Titel

Doch bei aller Euphorie: Der Erfolg wäre ohne den Mann, mit dem sich der Club einen erbitterten Rechtsstreit liefert, nicht möglich gewesen: Chris McSorley.

Lange fristete das Eishockey in der multikulturellen Metropole ein Schattendasein. Man wandte sich der Kunst zu, der Musik oder dem 17-fachen Fussballmeister. Die beste Zeit hatten die Eishockeyaner in den 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre, als im Schnitt 8500 Zuschauerinnen und Zuschauer an die Spiele strömten. Fünfmal wurde Servette Meisterschaftszweiter, stieg dann aber bis in die Drittklassigkeit ab. Erst mit dem Einstieg der Anschutz-Gruppe um die Jahrtausendwende, die McSorley als Trainer engagiert hatte, stellte sich der Erfolg wieder ein. 

Ein Bild aus schönen gemeinsamen Zeiten: Chris McSorley prägte Servette zwei Jahrzehnte lang als Coach, Sportchef und teilweise sogar als Besitzer.

Der Kanadier prägte den Verein zwei Jahrzehnte lang als Coach, Sportchef und teilweise auch als Besitzer. Von allem Anfang an glaubte er an den Erfolg, führte Servette 2002 auf Anhieb und nach 27 Jahren in die höchste Spielklasse zurück. Sein erstes Spiel coachte McSorley vor bloss 2450 Fans. Dennoch liess sich der heute 61-Jährige, der während des Einkaufens noch Gratistickets verteilte, um die Leute ins Stadion zu lotsen, nicht beirren. Fast schon trotzig sagte er: «Wir können Meister werden.»

Nun ist der Erfolg Tatsache. Drei Jahre nachdem McSorley fristlos entlassen worden ist. Genf feiert, Genf streitet: Vor Gericht geht es um eine Abfindung in der Höhe von 7,6 Millionen Franken.