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Umsturzversuch eines rechten Mobs
Der Präsident räumt auf in Brasília

Brasilianische Polizeibeamte tragen eine Skulptur weg, die im Gebäude des Obersten Gerichtshofs von Rechtsextremisten beschädigt wurde.
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Eigentlich hatte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva grosse Pläne für seine ersten Wochen im Amt: Armut bekämpfen, Bildung fördern, den Regenwald stärker schützen. Nun aber sind der 77-Jährige und seine Regierung vor allem mit Aufräumarbeiten beschäftigt.

Rund zwei Wochen sind vergangen, seit am 8. Januar ein Mob von Anhängern des rechten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro in der Hauptstadt Brasília das Regierungsviertel stürmte. Die Angreifer drangen in das Kongressgebäude ein, in den obersten Gerichtshof und auch den Präsidentenpalast. Sie zerschlugen Scheiben und Möbel, rissen Kabel aus den Decken und urinierten gegen Wandgemälde. Mittlerweile sind die meisten Scherben zusammengekehrt und die rechten Parolen von den Wänden gewaschen. Wie gross die Zerstörung und der Schaden wirklich sind, wird aber erst langsam klar. Denn die Randalierer haben nicht nur Büros und Sitzungssäle verwüstet, sondern auch Gemälde zerschnitten und Statuen zertrümmert. Experten versuchen, die Kunstwerke und Antiquitäten wieder zu restaurieren, manche Stücke sind aber wohl für immer verloren.

Erste Anklagen

Gleichzeitig ist die juristische und politische Aufarbeitung im vollen Gange. Unmittelbar nach dem Sturm auf das Regierungsviertel hatten die brasilianischen Behörden Verdächtige festgenommen, und bereits vergangene Woche gab es erste Anklagen, etwa wegen der Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung, Beschädigung von öffentlichem Eigentum und einem versuchten Staatsstreich.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva empfängt den neuen Armeechef Tomas Ribeiro Paiva.

Einige Täter sind aber immer noch nicht gefasst. Im Netz gibt es darum private Seiten, die Fotos oder Videos zeigen von rechten Randalierern. Allein dem Profil «Contragolpe Brasil» folgen beim Fotoportal Instagram mehr als eine Million Nutzer. «Haben Sie Informationen zu diesem Mann?», fragen die Macher in einem Post, der einen 30- bis 40-jährigen Mann zeigt, der eine antike Pendeluhr im Präsidentenpalast zu Boden reisst. Sein Gesicht ist unvermummt, auf dem T-Shirt das Konterfei von Jair Bolsonaro.

Schon Tage vor dem Umsturzversuch war der rechte Politiker Ende Dezember in die USA gereist. Am 1. Januar übernahm dann Lula da Silva das Präsidentenamt. Er hat seitdem seinem Vorgänger immer wieder die Schuld an den Angriffen gegeben. «Ich weiss nicht, ob der ehemalige Präsident alles angeordnet hat», sagte Lula da Silva vergangene Woche. Er wisse aber, «dass er dafür verantwortlich ist, weil er vier Jahre lang Hass geschürt hat».

Die Lage bleibt prekär 

Mittlerweile ist zumindest Bolsonaros ehemaliger Justizminister in Haft. Anderson Torres war seit Januar zuständig für die Sicherheit in Brasília. Gleich nach Amtsantritt entliess er aus bisher unbekannten Gründen mehrere Polizeikommandanten, bevor er am 7. Januar ebenfalls nach Florida reiste. Torres wird verdächtigt, mit radikalen Bolsonaro-Anhängern kooperiert zu haben und den Angriff mit bewusst laxen Vorsichtsmassnahmen ermöglicht zu haben. Bisher weist er jede Schuld von sich.

Die Lage in Südamerikas grösster Demokratie ist nun weitgehend wieder unter Kontrolle, die Situation aber bleibt angespannt. Denn angesichts der Tatsache, dass mehrere Tausend radikale Rechte fast ungehindert in das Regierungsviertel eindringen konnten, fragt sich die neue Regierung, wem sie noch trauen kann. Es gibt Hinweise darauf, dass sowohl Teile des Militärs als auch bestimmte Polizeieinheiten den Mob nicht aufhielten und im Nachhinein Täter vor Verhaftung schützten. Zuletzt wurde fast die komplette Führungsebene der besonders Bolsonaro-treuen Autobahnpolizei ausgewechselt. Zudem wurden mehrere Dutzend Soldaten entlassen, die im Präsidentenpalast Dienst taten.

Angst vor Anschlägen

«Es gab viele Leute in den Streitkräften, die mitschuldig sind», sagte Lula da Silva. Der neue Staatschef ist überzeugt, dass den Tätern von innen der Zugang zum Präsidentenpalast erleichtert wurde: «Ich habe keine Hinweise dafür, dass die Tür aufgebrochen wurde.» Am Samstag entliess Lula da Silva sogar noch den Chef des Heeres. Er selbst äusserte sich nicht zu dem Schritt, doch Verteidigungsminister José Múcio sprach von einem «Bruch auf der Vertrauensebene» zur Führung der Armee nach den Attacken vom 8. Januar. Deshalb sei ein Wechsel nötig gewesen.

Und auch wenn Umfragen zeigen, dass ein Grossteil der Bevölkerung den gewalttätigen Sturm auf das Regierungsviertel ablehnt, so ist den Erhebungen zufolge mehr als ein Drittel der Brasilianer ebenfalls überzeugt, dass Lula da Silva die Wahlen im Oktober nicht rechtmässig gewonnen hat. Über Chatgruppen rufen Anhänger von Jair Bolsonaro weiter zu Demonstrationen auf, gleichzeitig wächst die Angst vor Anschlägen. Unbekannte haben zuletzt immer wieder Strommasten angegriffen. Die zuständigen Behörden sprechen von Vandalismus und Sabotage.