Zwischenwahlen in USADer Präsident ist aufgewacht und lanciert den Wahlkampf
Joe Biden bringt sich in den Streit um das Waffenrecht ein. Doch können die Demokraten von seiner Hilfe bei den «Midterms» im Herbst profitieren?
Joe Biden ist aufgewacht: In dieser Woche hat er medial den Wahlkampf eröffnet, rechtzeitig vor der Sommerpause. Er, den Donald Trump als schläfrigen «Sleepy Joe» verhöhnte, wirkte im ersten Amtsjahr innenpolitisch in der Tat bisweilen etwas lethargisch. Der Abzug aus Afghanistan missriet, die Teuerung überschattete das Wirtschaftswachstum, und der Präsident schaute ohnmächtig zu. Einzig in der Auseinandersetzung mit Russland konnte Biden seine staatsmännischen Qualitäten unter Beweis stellen – doch innenpolitisch kann er davon kaum profitieren, seine Umfragewerte sind jetzt so schlecht wie die von Donald Trump.
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Mit Auftritten und Reden im ganzen Land versuchte Biden in den vergangenen Wochen, seine Erfolge besser zu verkaufen: Covid hat dank der Impfoffensive seinen Schrecken verloren, die Wirtschaft wächst im Rekordtempo und damit das Jobangebot, die USA verfolgen wieder vernünftige Klimaziele. Doch die erhoffte positive Reaktion der Öffentlichkeit blieb aus, und Biden beklagte sich bei seinem Stab bitterlich über seine schlechte Presse.
Die Boygroup und das Milchpulver
In dieser Woche nun hat Biden selbst in die Tasten gegriffen und gleich zwei Gastbeiträge veröffentlicht: Zuerst legte er einen Plan zur Bekämpfung der hohen Teuerung vor und traf sich mit Notenbankchef Jerome Powell, dann liess er eine Auslegeordnung der amerikanischen Ziele im Ukraine-Krieg folgen. Ein pop-politisches Zeichen gegen antiasiatischen Rassismus setzte Biden, indem er überraschend die südkoreanische Boygroup BTS im Weissen Haus empfing. Weiter traf er Hersteller von Milchpulver, um Auswege aus der akuten Versorgungskrise zu diskutieren – damit sind die wichtigsten Themen abgedeckt, welche das Weisse Haus derzeit umtreiben.
Den Höhepunkt setzte Biden mit einer Rede zur besten Fernsehzeit am Donnerstagabend, ein selten genutztes Mittel, in der er ein Verbot von Sturmgewehren und strengere Regeln beim Kauf von Waffen forderte. Er schaltete sich damit in eine bereits wochenalte Debatte ein und versuchte, die Republikaner moralisch dazu zu verpflichten, einer Verschärfung des Waffenrechts zuzustimmen.
Biden nahm damit ein Thema auf, das bei der Wählerschaft populär ist: Eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützt laut Umfragen solche Massnahmen. Allerdings wird Biden hier kaum Erfolge vorzuweisen haben; er kann wohl öffentlichen Druck erzeugen, hat sonst aber nur wenig Einfluss auf die Entscheidungen. Im schlimmsten Fall hat Biden mit seiner moralisierenden Rede die Republikaner sogar in ihrem Widerstand bestärkt und die Wahrscheinlichkeit eines Kompromisses geschmälert.
Machtlos gegenüber Teuerung
Ähnlich machtlos wirkt Biden im Milchpulver-Debakel und in der Wirtschaftspolitik. Vor allem an Spezialnahrung für Säuglinge mangelt es seit Monaten, und Biden sagte diese Woche, erst im April sei er von seinen Leuten darüber informiert worden – als die amerikanischen Medien längst über das Problem berichtet hatten. Und in der Wirtschaftspolitik musste sich Biden damit begnügen, die Notenbank ihrer Unabhängigkeit zu versichern und die Rekorde bei den neuen Arbeitsplätzen zu preisen.
Eine Handhabe gegen die Hauptsorge der Wählerschaft, die Teuerung, hat er hingegen nicht. Biden verspricht dafür Investitionen in erneuerbare Energien und einen weiteren Defizitabbau.
Die Demokraten spüren etwas Aufwind, weil zwei ihrer Kernthemen wieder zuoberst auf die politische Agenda gerückt sind.
Für die Demokraten eröffnet Biden den Wahlkampf gerade noch rechtzeitig. Die Sommerpause naht, und die wollen die Demokraten nicht mit einem einschläfernden Gefühl der Ohnmacht beginnen – umso weniger, als ihnen Beobachter seit Monaten eine Niederlage bei den Zwischenwahlen im November voraussagen. Im Senat dürften die Demokraten ihre knappe Mehrheit verlieren, dasselbe droht ihnen im Repräsentantenhaus.
Nun spüren die Demokraten aber plötzlich wieder etwas Aufwind, weil zwei ihrer Kernthemen wieder zuoberst auf die politische Agenda gerückt sind. Das Oberste Gericht dürfte in den nächsten Wochen das bisherige Recht auf Abtreibung kippen, in einer ganzen Reihe konservativer Staaten werden Abtreibungen danach verboten. Das könnte die Basis der Demokraten aufrütteln und zum Wählen bewegen, hoffen Parteistrategen.
Dasselbe gilt für die Debatte über das Waffenrecht, die nach einer Reihe von Schiessereien, zuletzt in der Schule von Uvalde, bei der 19 Kinder und 2 Lehrpersonen getötet wurden, wieder begonnen hat. Auch das ist ein Kernthema der Demokraten, bei dem sie aus beiden Lagern viel Zustimmung erhalten.
Das ist erst der Anfang
Ob die Demokraten diese Ausgangslage an der Urne wirklich in mehr Stimmen ummünzen können, ist jedoch zu bezweifeln. Derzeit sorgen sich die Wähler nur um ein Thema: die hohe Teuerung. In den nächsten Monaten dürften zudem hohe Einwanderungszahlen an der Südgrenze Biden in Erklärungsnot bringen. Und Abtreibungsverbote wie Waffenkontrolle sind Kulturkampfthemen zwischen linken und konservativen Wählern; sie entfalten eine gewisse Mobilisierungswirkung, taugen aber nur begrenzt dazu, Wechselwähler oder gar Republikaner zu einem Parteiwechsel zu überzeugen – schon gar nicht, wenn ein Thema wie die Teuerung alles überschattet.
Und Biden scheint zwar aufgewacht zu sein, doch als Wahlkampflokomotive zieht er zu wenig. Auf Twitter überwogen die positiven Live-Kommentare zu seiner Rede. Doch Biden scheint auch für viele ein rotes Tuch zu sein. «Er wirkt schläfrig», ätzte jemand. Und es ist erst der Anfang eines kräfteraubenden Wahlkampfes.
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