Analyse zum Wahlkampf in den USADer Mutterkomplex der Demokraten
Die Unruhen in amerikanischen Städten stärken den Wunsch nach einem autoritären Präsidenten: lieber einen strengen Vater als eine fürsorgliche Mutter. Das nützt Donald Trump und schadet Joe Biden.
Bis vor kurzem schien Joe Biden, demokratischer Herausforderer bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, den Sieg auf sicher zu haben – selbst wenn man die falschen Prognosen über Hillary Clinton vor vier Jahren als Blendungsgefahr einbezog. Donald Trump hatte so oft versagt und gelogen, hatte dermassen viele Leute gefeuert, die mehr wussten als er, und er hatte selbst Republikaner vertäubt, die sich ihm verschrieben hatten. Bis vor zwei Wochen dachten viele Demokraten, die schiere negative Energie des amtierenden Präsidenten würde ihrem Kandidaten die Wahl garantieren. So sagten es auch die Umfragewerte voraus. So deutlich, dass der Ausgang klar schien.
Aber wie das bei Wahlen in einer Demokratie passieren kann: Die Aktualität schafft Überraschungen, auf die ein Kandidat schnell, kompetent und entschlossen reagieren muss. Beim Coronavirus machte Trump alles falsch, jetzt macht er vieles auf seine Weise richtig. Mit seiner Verurteilung von Demonstranten in amerikanischen Städten, der Verharmlosung rechter Gewalt und der Verhöhnung seines Konkurrenten Biden als schwache Figur gelang ihm ein Comeback, das Bidens Wahl gefährden könnte. Erstmals steigen Trumps Umfragwerte, und das Momentum steht auf seiner Seite.
Patriarchale Sehnsucht
Dabei hat Bidens Problem weniger mit seiner Persönlichkeit zu tun als mit dem Image seiner Partei. Oder wie es die amerikanischen Wahlexperten und -expertinnen nennen, die für alles eine schnelle Metapher finden: Die amerikanischen Demokraten leiden unter dem «Mommy Problem», dem Mama-Problem. Man traut ihnen weniger zu, wenn es ernst gilt.
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Wollen die Wähler eine fürsorgliche und verständnisvolle Regierung, die zu ihrer Gesundheit und ihren Arbeitsplätzen schaut, wählen sie eher demokratisch. Haben sie Angst vor Gewalt in ihren Städten, verspüren sie Wut auf ihre Feinde im Ausland oder fühlen sie sich in ihrem nationalen Stolz verletzt, wächst die patriarchalische Sehnsucht nach einer virilen, autoritären Vaterfigur. Davon profitiert Donald Trump jetzt besonders, der seinen Wahlkampf auf diese Projektion hin justiert hat.
Das «Mommy Problem» wurde schon Jimmy Carter zum Verhängnis, dem demokratischen Präsidenten, der nach Watergate gewählt wurde. Er vertrat eine für amerikanische Verhältnisse tolerante Aussenpolitik. Spätestens aber der gescheiterte Versuch, im April 1980 im Iran 56 amerikanische Geiseln militärisch zu befreien, kostete ihn die Wiederwahl. Minuten nach Ronald Reagans Inauguration kamen die Geiseln frei.
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Reagan trat in der Folge als gütiger republikanischer Grossvater auf, vertrat aber eine aggressive Aussenpolitik und profitierte davon, dass das Ende des sowjetischen Regimes in seine Amtszeit fiel. Bill Clinton schlug mit seinem jugendlichen Enthusiasmus George Bush den Älteren und glich dann das Budget aus, machte aber kurz nach der Wahl den Fehler, sich für Schwule in der US-Armee einzusetzen. Das war eine typische Mommy-Reaktion, die bei den Wählern schlecht ankam.
Am anderen Ende von Donald Trump operiert die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Mit ihrem «wir schaffen das» zu den immer häufigeren Flüchtlingen hatte sie vor fünf Jahren politischen Grossmut bewiesen. «Mutti», nannten die Deutschen ihre Kanzlerin, um sie 2017 mit einem knappen Ergebnis zu bestätigen.
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Die Taktik der Ruth Dreifuss
Die Schweizer Gewerkschafterin Ruth Dreifuss, obgleich kinderlos, gab sich vor der Wahl zur zweiten Bundesrätin mütterlich und etwas bieder. Aber das war blosse Beruhigungstaktik. Denn sie kämpfte weit konsequenter und kompetenter für die AHV und die Gesundheitspolitik, als es Christiane Brunner je getan hätte, die Mutter ist. Die Bürgerlichen hatten sich verrechnet.
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Joe Biden muss jetzt Hermaphrodit spielen: mütterlich verständnisvoll auf die Arbeitslosen und Rechtlosen und rassistisch Verfemten in seinem Land eingehen. Zugleich aber väterlich streng gegen die Gewalt in den Städten anreden, um nicht in den Verdacht zu geraten, er unternehme nichts gegen brennende Innenstädte, weil ihm die nötige Autorität und Entschlossenheit fehle. Diese Haltung verstärkt natürlich die Gefahr, afroamerikanische Wähler zu verärgern, die Biden für den Sieg unbedingt braucht.
Donald Trump hat es einfacher. Er reduzierte seinen Mutti-Moment auf die Ankündigung, eventuell Edward Snowden zu begnadigen. Nachdem Snowden sich als Whistleblower geoutet hatte, verlangte Trump für ihn die Todesstrafe.
Wollen die Wähler eine fürsorgliche Regierung, die zu ihrer Gesundheit und ihren Arbeitsplätzen schaut, wählen sie eher demokratisch.
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