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Die Macht der Bilder
Der mit dem Büffel tanzt

Wer verkörpert das wahre Amerika? Darüber gibt es verschiedene Ansichten. Emanuel Leutzes Gemälde «Washington Crossing the Delaware» und der QAnon-Schamane im Capitol. 
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Man darf die Rolle der Bilder nicht unterschätzen, die nach dem Sturm auf das Capitol in Washington die Mythenbildung einer rechten Widerstandsbewegung vorantreiben, die Amerika und die Welt noch lange beschäftigen werden. Dies vor allem, weil diese Bilder bei Amerikanern deutlich andere Emotionen auslösen als im Rest der Welt. Die Stürmer beim Gebet in der Rotunde des Parlamentsgebäudes. Der halbnackte «QAnon-Schamane» aus Arizona mit der Büffelkopfmütze auf dem Vorsitzsessel des Senats. Der Mann aus Arkansas am Schreibtisch der Parlamentssprecherin Nancy Pelosi. Der Kerl mit der Kriegsflagge der Konföderierten vor den Porträts der Nationsgründer. Die Gadsden-Flaggen auf den Stufen zum Capitol, jene gelben Banner mit der Klapperschlange und dem Schriftzug «Don't Tread On Me». Reiz mich nicht. Ein Relikt aus den Zeiten der Revolution, das Christopher Gadsden, General der Kontinentalarmee, 1775 für den Kampf der amerikanischen Marines gegen die britische Krone entworfen hatte, und das heute als Symbol für den Fundamentalismus über den Aufmärschen der Rechten weht.

Durchsetzen gegen die Bilderflut des Internets

Es sind historische Signale, die die Stürmer da inszenierten. Denn die wilden Kerle und Frauen kommen aus einer Subkultur, für die der Unabhängigkeitskampf der amerikanischen Revolutionäre im 18. Jahrhundert ein Vorbild und der Sieg der Yankees über die Südstaaten im 19. Jahrhundert eine ungesühnte Schmach bleibt. Die Kriegsflagge im Capitol? 1864 kamen die Konföderierten nur bis Fort Stevens, sechs Meilen weit weg. Und die hatten eine Armee. Und hatten die Gründerväter den zweiten Verfassungszusatz nicht genau für solche Momente wie diesen erlassen? Auf dass die Bürger sich bewaffnen und mit einer Miliz gegen etwaige Feinde ausrücken, wenn die die Macht in Washington an sich reissen? So wie Joe Biden und seine Kumpane? Was der amtierende Präsident Trump und seine Verbündeten nun schon seit dem Sommer predigen. Die sehr gut wissen, dass Bilder bei der Mythenbildung eine sehr viel grössere Kraft haben als Worte.

Im Herzland der USA lieben sie die hyperrealistische Malerei von Künstlern wie Frederic Remington (1861-1909). 

Was da am Nachmittag des 6. Januar 2021 zusammenkam, waren das kollektive Unterbewusstsein einer Nation und die Kunstfertigkeit einer Generation von Agenturfotografen, die wissen, dass sie in ihrem Beruf nur bestehen können, wenn sie irgendwann einmal ein historisches Foto schiessen, das sich gegen die Bilderflut des Internets durchsetzen kann. Deswegen beherrschen sie Bildaufbau, einen Blick für Gesten und Pathos und Drama. Beide – Nation und Fotografen – sind ein Leben lang an einer Bildsprache geschult, die genau dieses Pathos und dieses Drama der amerikanischen Geschichte für die Ewigkeit bewahrt. Demonstranten und Aufständische wissen das längst und üben sich deswegen in Posen, die dieser Bildsprache entsprechen. Da ist nicht Hollywood das Vorbild, sondern Ölmalerei.

Prototyp dieser Romantik der Revolution und Eroberung ist jenes Gemälde, das für amerikanische Schüler so zwingend zum Lehrplan gehört wie Schillers «Glocke» für deutsche. Es ist Emanuel Leutzes «Washington Crossing the Delaware», jenes Heldenbild, auf dem man Washington als Anführer seiner Truppen auf einem Ruderboot sieht, als er in der Weihnachtsnacht von 1776 über den vereisten Delaware übersetzte, um die hessischen Söldner der Briten zu besiegen. Im Weissen Haus hängt eine von zwei erhaltenen Versionen, eine andere im Metropolitan Museum in New York. Leutze war inspiriert von den Monumentalgemälden von John Trumbull, einem ehemaligen Adjutanten George Washingtons, der als «Maler der Revolution» in die Geschichte einging. Vier Trumbulls hängen in der Rotunde des Capitols von Washington. Eben dort, wo Trumps Horden am Mittwoch mit wehenden Flaggen einfielen.

Das Gemälde von Emanuel Leutze (1851) gehört für amerikanische Schüler zum Lehrplan.

Selbst die Ureinwohner sind da edle Wilde

Was für die meisten Amerikaner Geschichtsstundenstoff bleibt, ist im amerikanischen Herzland die Klassik einer Kunst, die in den Häusern vieler, fast ausnahmslos weisser Amerikaner so allgegenwärtig ist wie die röhrenden Hirsche und Bergbäche in Öl über den Sofas der deutschen Nachkriegsjahre. Egal ob als Leinwand oder als Druck hängen dort die Bilder von Malern wie Frederic Remington, Fred McCarthy oder Howard Terpning. Sie gehörten zu einer Schule der hyperrealistischen Malerei, die im 20. Jahrhundert die Eroberung des Kontinents im 19. Jahrhundert verklärte. Selbst die Ureinwohner sind da nicht mehr Feinde oder Opfer eines Völkermordes, wie in den Geschichtsschreibungen, sondern edle Wilde, Krieger, Jäger, die mit ihren Büffeltänzen und ihrer Kopfschmuckpracht den Revolutionären so etwas wie spirituelle Führung verleihen. Ein Zerrbild, das schon seit der Revolution des späten 18. Jahrhunderts durch Amerika geistert.

Es war also nur logische Konsequenz, dass sich einer der Stürmer mit Schlapphut, Umhang und Guy-Fawkes-Maske am Fusse des Capitols hoch erhobenen Hauptes in Siegerpose auf dem Dach eines Polizeiwagens postierte, einen Pfosten in der Hand, an dem eine Flagge aus Trumps Wahlkampf 2020 wehte und ein umgedrehtes Sternenbanner, das jahrhundertalte Signal der Seefahrt für Lebensgefahr, das heute Symbol für Umsturz und Widerstand ist. Flankiert von zwei Raubeinen in Biker-Montur harrte er dort aus, bis die Weltpresse Notiz nahm und sein improvisiertes Monument des Widerstandkampfes fotografierte.

Frederic Remingtons Gemälde verklären die Eroberung des amerikanisches Kontinents. 

Er war nicht der Erste, der mit so einer Gruppenpose Leutzes Washington-Bild zitierte. Von den U. S. Marines, die 1945 auf Iwo Jima ihre Flagge hissten, bis zu den Feuerwehrleuten, die auf den Trümmern des Anschlags auf das World Trade Center 2001 ein Sternenbanner aufpflanzten, ist die Heldengruppe ein Standard visueller Geschichtsschreibung. Mit dem Unterschied, dass weder die Kämpfer des Zweiten Weltkrieges noch die Nothelfer von New York solche Posen bewusst einnahmen. Wenn die Stürmer vom Capitol Hill also einen Sturm der Konföderierten auf die Hauptstadt, den Büffeltänzer der Prärie als Freiheitskämpfer oder die dreifaltige Heldenpose inszenieren, sind das vor allem Signale. Denn wirklich erobern wollten die Möchtegernputschisten ja nichts. Es gab keinen Plan. Nur die Hoffnung, den demokratischen Prozess auszubremsen.

Manchem Moderator kamen die Tränen

Doch genauso wie diese Bilder und Gesten Amerikas Rechte mit dem Pathos und dem Drama eines vermeintlichen Widerstandskampfes gegen eine Machtübernahme erfüllen, versetzen sie den Grossteil der Nation in Angst und Schrecken. Denn die Demokratie und ihre Geschichte sind den meisten Amerikanern immer noch etwas Heiliges. Wenn Trumps Horden die Rotunde des Capitols stürmen, dann entweihen sie so etwas wie eine weltliche heilige Halle.

Ähnlich wie Donald Trump die Würde des höchsten Amtes besudelte, traten die Eindringlinge die Demokratie in den beiden Kammern des Parlaments buchstäblich mit Füssen. Wenn sie sich im Kreis einer gemeinsamen Umarmung unter der Kuppel zum politisch aufgeheizten Gebet versammeln, dann tun sie das vor den vier Gemälden von John Trumbull. Zwei zeigen die Kapitulationen britischer Feldherren. Eines die Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung. Das vierte aber zeigt, wie George Washington am 23. Dezember 1783 von seinem Amt als General der Kontinentalarmee zurücktritt, dem offiziellen Ende der Revolutionsherrschaft und dem Beginn der Zivilgesellschaft.

Kein Wunder also, dass manchem Moderator des Nachrichtensenders CNN stellvertretend für alle demokratisch gesinnten Amerikaner die Tränen kamen. Dass niemand mehr von Protest und Demonstranten sprach, sondern von Aufruhr und Umsturzversuch. Auch wenn niemand davon sprach, wie man den Versuch, politische Entscheidungen durch die Erzeugung von Angst zu beeinflussen, nach den Kriterien der Vereinten Nationen und auch der USA benennt. Doch selbst wenn man nicht von Terrorismus sprechen mag, so haben die Stürmer vom Capitol Hill und die Massenmörder der Geschichte eines gemeinsam – sie wissen um die Macht der Bilder und deren Langzeitwirkung.