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Meinung

Der Mensch als Maschine
Verwandeln wir uns in «Exen»?

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BotTalk

Sind wir in unserer hoch digitalisierten, weltweit vernetzten, mehr und mehr KI-gesteuerten, moralisch super kultivierten und dadurch umso hypersensibilisierteren Zeit dazu verdammt, uns früher oder später in «Exen» zu verwandeln?

Was das sein soll, fragen Sie sich? In Sigismund Krschischanowskis Roman «Der Club der Buchstabenmörder», verfasst in den Jahren 1925 bis 1927, werden Menschen als Exen bezeichnet, denen «das ganze Ich» herausgepresst wurde.

Sie sind keine Menschen mehr im klassischen Sinne, sondern «ethische Maschinen». Im Buch lesen wir: «Die Wissenschaft kannte sie unter weit komplizierteren und längeren Namen: differenziale Ideomotoren, ethisch-mechanische Steuerungsanlagen, Exteriorisatoren und noch allerlei: aber die meisten Leute vereinfachten und kürzten diese Bezeichnungen und nannten die Maschinen einfach Exen.»

Es sind extern gesteuerte Einst-Menschen oder, wie sie im Roman dann auch genannt werden, «Ex-Menschen». «Wir müssen», so argumentieren ihre Befürworter, «die Psyche sozialisieren.» Daher sei es unbedingt nötig, «all die in den Köpfen verborgenen psychischen Inhalte» auszulöschen: «Warum zum Teufel soll man nicht unser ganzes In zu einem Ex wenden können?» Man müsse nur die Steuerung der individuellen Nervensysteme einer Art Zentrale übertragen, so «könne man die Wirklichkeit planmässig organisieren und ein für alle Mal Schluss machen mit der Stümperei der einzelnen ‹Ichs›».

Sie werden sagen, diese literarische Dystopie des russischen Autors sei zu weit hergeholt. Mit unserer Gegenwart habe das doch nichts zu tun. Sind Sie sicher?

Neulich unterhielt ich mich mit einem Freund darüber, wie unbegreiflich es mir ist, dass Menschen bei einer ihrer Meinung nach unrichtigen Ansicht zu bizarren Überreaktionen neigen, wutentbrannt auf die Barrikaden steigen und mit Vorwürfen um sich werfen. Für sie zählt in diesem Moment nichts mehr als die eigene, in ihren Augen richtige Anschauung. Der Freund antwortete mir: «Tatsächlich unfassbar – gerade weil es nicht erstaunlich ist. Das ist für mich das Unfassbare: die Überraschungslosigkeit, der Automatismus, die totale Berechenbarkeit, die Mechanik hinter diesen Reaktionen.» Ich musste unwillkürlich an Krschischanowskis Exen denken.

Wie endet die Geschichte über die Exen? Der «bekannte Publizist Tummins» wagt sich mit einem Artikel an die Öffentlichkeit. Darin erklärt er, dass niemand einem Menschen «gewaltsam ein fremdes, fabriziertes Leben aufzwingen» dürfe, denn der Mensch sei ein freies Wesen. «Selbst Verrückte», erklärt er, haben ein «Recht auf ihre Verrücktheit.» Die «Willensfunktion einer Maschine zu überlassen», sei gefährlich.

Doch zuletzt wird auch sein «In» durch einen externen Regulator ersetzt. Als er noch ganz bei Sinnen war, forderte er jeden Noch-Menschen dazu auf, einem «maschinisierten Menschen» direkt in die Augen zu sehen, wenn er ihm begegnete. Nur durch diese Spiegelung des eigenen Ich im Anderen blieben wir uns bewusst, dass man sich nicht an einem «Menschen vergreifen dürfe, wie es die Exen taten».

Beherzigen wir diesen Rat, solange wir können.