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Der Mann, der das Titanic-Unglück voraussagte

Die Titanic sank in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912. Das Gemälde stammt vom deutschen Marinemaler Willy Stöwer.
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Neulich landete die Kunde wieder mal auf meinem Twitter-Schirm: 14 Jahre vor der Titanic-Katastrophe sei ein Buch erschienen, das vom grössten Schiff der Welt erzähle, welches als unsinkbar gegolten habe. Es rammt einen Eisberg und versinkt im Nordatlantik. Der Name des Schiffs: Titan. So postete da einer.

Das mysteriöse Geschichtlein taucht immer wieder mal auf. Das ist ein klassischer Hoax, denkt man sogleich, ein Schabernack. Es dürfte eine jener Fälschungen sein, die im Internet ihre Kreise ziehen wie ein Komet im Weltall.

Das gibt es tatsächlich!

Diesmal beschloss ich, herauszufinden, woher dieses Seemannsgarn kommt – oder aber das mysteriöse Buch aufzutreiben.

Rasch wurde klar: Das ist gar nicht so schwer. Es gibt diesen Roman tatsächlich. Er erschien 1898 unter dem Titel «Futility», verfasst von einem amerikanischen Abenteuerschriftsteller namens Morgan Robertson. Und auch wenn sich die Originalausgabe kaum auftreiben lässt – vor vier Jahren wurde ein Exemplar für 7200 Dollar versteigert –, so gibt es allerlei Nachdrucke. Ja, es gibt sogar eine deutsche Übersetzung.

«Eis!», schrie der Ausguck

Und so wird die Sache tatsächlich wahr und wahrlich verblüffend. Denn zwischen der Titan, dem Schiff in Robertsons Buch, und der Titanic gibt es sogar viel mehr Ähnlichkeiten als erwartet.

Seherische Fähigkeiten? Morgan Robertson (Bild: George G. Rockwood, Wikimedia Commons)

Der Schriftsteller schildert uns ein sehr britisches Schiff, das mit seiner Klassengesellschaft und seinem Orchester zwischen New York und Liverpool verkehrt, mit 19 wasserdichten Abteilungen, die sich mittels Schotten verschliessen lassen: Die Titan gilt als unsinkbar. «Unzerstörbar wie sie war, hatte sie gerade so viele Rettungsboote, wie es die Regeln vorschrieben – vierundzwanzig Stück an der Zahl», also zu wenig. Auch hier fahren etwa 3000 Menschen mit, viele werden in den kalten Fluten sterben. Denn auch hier jagt ein ehrgeiziger Kapitän das monströse Schiff in hohem Tempo über den Atlantik, es ist April – auch hier –, und dann passiert es in einer Nacht: «Eis!», schrie der Ausguck. «Eis voraus! Eisberg. Genau unter dem Bug.»

Und nebenbei erinnert die Rahmenhandlung an den 1997 erschienenen Blockbuster-Film mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet: Sie erzählt von der traurigen Liebe eines armen Schluckers zu einer Lady aus der Ersten Klasse.

Für viele ist der Fall damit klar: Aus «Futility» spricht etwas Übersinnliches. Und Morgan Robertson muss eine prophetische Gabe besessen haben.

Wirklich? Sicher ist nur eines: Hier schrieb ein intimer Kenner der Seefahrt.

Zu wenige Rettungsboote? Das war normal

Morgan Robertson, geboren 1861 am Lake Ontario, war der Sohn eines Kapitäns, er fuhr bereits als Bub zur See und verbrachte seine jungen Jahre als Bootsmann. Fast alle seine Werke schildern das Leben und die Technik an Bord grosser Schiffe. Und damit gäbe es eine weitere, viel trockenere Erklärung für die sagenhaften Gemeinsamkeiten: Sowohl die Erzählung über die Titan als auch die Geschichte der Titanic haben dasselbe Fundament. Es ist die Realität der christlichen Seefahrt in jener Zeit. Und es sind vor allem deren Mängel.

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Dass es auf dem grossen Passagierschiff zu wenige Rettungsboote gab: Es war die Regel. Dass ein Kreuzer im Nordatlantik in einen Eisberg donnerte und kläglich unterging: Das geschah immer wieder. Und Morgan Robertson wusste auch, wann sich am meisten Eisberge lösen und die Gefahr solch einer Kollision im westlichen Nordatlantik am grössten ist: im April.

Das wahre Rätsel lautet also vielleicht eher: Weshalb hatten die Verantwortlichen der Titanic vierzehn Jahre später immer noch nicht genügend Lehren daraus gezogen?

«Ich weiss, worüber ich schreibe»

Bleibt der Name des Schiffs. Doch auch da zeigt sich: Das altgriechische Göttergeschlecht der Titanen faszinierte in jener Ära, die Reeder nutzten es offenbar gern für Schiffstaufen. 1866 lief der Tee-Clipper Titania in Greenock, Schottland, vom Stapel. Ab 1880 verkehrte das Dampfschiff Titania von Glasgow aus. Die Hudson-Bay-Company betrieb ebenfalls eine Titania. Es gab ein norwegisches Ozeanschiff dieses Namens. In den 1890ern verkehrte bereits eine Titanic in der Irischen See: Das Dampfsegelschiff kursierte vor allem zwischen Belfast und Glasgow.

Und im Jahr 1880 versank die Brigg Titania vor der Ostküste Kanadas: «Struck a berg in fog, sank 3 hours later», melden die Logbücher. Versenkt von einem Eisberg.

Morgan Robertson starb im März 1915 in Atlantic City. Kurz vor seinem Tod soll er gefragt worden sein, ob er seherische Gaben habe. «Nein», so die Antwort. «Ich weiss, worüber ich schreibe. Das ist alles.»

Weiteres Zeitzeugnis: «Das Wrack der Titan: Geschichte und Mystifizierung». Der russische Dokumentarfilm aus dem Jahr 2014  ist Englisch gesprochen.

Dieser Artikel wurde erstmals am 29. Mai 2018 publiziert und am 24. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.

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