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30 Jahre Wiedervereinigung
Der Lockdown erinnerte Merkel an ihre Kindheit

Es gehe generell um den Zusammenhalt im Land, sagte Merkel im Bundestag, und zwar nicht nur zwischen Ost und West. 
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Deutschland feiert am Samstag die 30-jährige Wiedervereinigung. Dabei erscheint vieles andere gerade wichtiger als das Erinnern. Der Kampf gegen die Corona-Krise zum Beispiel; oder der Kampf um die Einheit Europas. Doch obwohl diese Krisen den runden Jahrestag der deutschen Einheit überlagern, lieferten am Freitag manche Politiker und Politikerinnen überraschende Blicke auf das Land.

Vorneweg ist die Kanzlerin. Sie hat in den vergangenen Jahren nicht allzu häufig über den Osten, den Westen und die Geschichte der Menschen gesprochen. Dieses Mal aber ist das anders. In einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland hat Angela Merkel die Leistungen gerade der Menschen in Ostdeutschland hervorgehoben. Es sei an der Zeit, daran zu erinnern, «wie viele Menschen aus der DDR ihre Fähigkeiten im vereinten Deutschland eingebracht haben». Menschen, die «etwas geschafft und viel geleistet haben», so die Kanzlerin, die es als erste Ostdeutsche politisch ganz nach oben geschafft hat. «Wir haben gelernt zu improvisieren, und wir haben uns angesichts vieler Mängel immer gut organisiert», sagte Merkel. «Das sind Fähigkeiten, die einem auch heute helfen.»

«Wir werden sehr viel Kraft für den Zusammenhalt aufbringen müssen.»

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Sie zeigte aber auch Verständnis dafür, dass sich manche Ostdeutsche heute als Bürger zweiter Klasse fühlten. Dafür gebe es manche Ursache, manchen Auslöser, «verpasste Lebenschancen zum Beispiel». Nicht nur, aber wohl auch deshalb bleibt für die Kanzlerin der Zusammenhalt eine grosse und schwierige Aufgabe. «Wir werden sehr viel Kraft für einen solchen Zusammenhalt aufbringen müssen», mahnte Merkel in dem Gespräch. Und fügte noch hinzu, dass es dabei längst nicht mehr nur um den Zusammenhalt zwischen Ost und West gehe. «Ein Land im 21. Jahrhundert zusammenzuhalten, heisst, ein bestimmtes Mass an Gerechtigkeit für alle zu haben.»

Erinnerung an eigene Kindheit

Ungewöhnlich offen erinnerte Merkel ausserdem daran, dass sie sich im Frühjahr 2020 an ihre eigene Kindheit erinnert fühlte. Gemeint sind jene harten Anti-Corona-Massnahmen des Frühjahrs, mit denen Merkel und die gesamte Regierung in einer ersten Reaktion auf Corona die Ausbreitung des Virus zu verhindern versuchten. «Meine Kindheit und Jugend waren mir in diesem Moment sehr präsent», sagte die CDU-Politikerin. «Dass ich den Menschen sagen musste, dass man nur als ein Haushalt oder zu zweit auf der Strasse sein durfte, dass keine Veranstaltungen stattfinden durften, dass Kinder ihre Eltern nicht im Seniorenheim besuchen durften – das waren gravierende Einschränkungen.» Angesichts solcher Sätze ahnt man, warum Merkel erst dieser Tage wieder zur Vorsicht mahnte; eine Wiederholung dieser scharfen Massnahmen will sie unter allen Umständen vermeiden.

«Ein Marsmännchen würde von oben nicht erkennen, dass Berlin einmal geteilt war.»

Wolfgang Schäuble, Bundestagspräsident

Fröhlicher, leichter, optimistischer hat sich unmittelbar vor dem Jahrestag auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eingelassen. Die Deutschen hätten gerade zu Jahrestagen die Neigung, vor allem zu fragen, was nicht gut gelaufen sei. Er steuerte dagegen: Verglichen mit vielen anderen Ländern gehe es Deutschland doch «ziemlich gut». So gut sogar, dass ein «Marsmännchen», wenn es von oben schaue, «nicht erkennen würde, dass Berlin durch eine Mauer geteilt war».

Probleme gäbe es, aber die hätten weniger mit der Wiedervereinigung und mehr mit der Krise westlicher Demokratien insgesamt zu tun. Die grössten Herausforderungen seien Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung – all das erschüttere die Menschen, so Schäuble zum Fernsehsender RTL. «Darauf müssen die erfolgsverwöhnten Demokratien eine bessere Antwort finden.»

«Die deutsche Einheit ist die Konsequenz der ersten erfolgreichen und unblutigen Demonstration in Deutschland.»

Christian Lindner, FDP-Chef

Über die Einheit diskutiert hat am Freitag auch der Bundestag. Der FDP-Chef Christian Lindner lobte den Mut und die Unerschütterlichkeit der friedlichen Demonstranten in der DDR. «Die deutsche Einheit war kein Wunder», das vom Himmel gefallen sei, so Lindner. «Es war die Konsequenz der ersten erfolgreichen und unblutigen Revolution ins unserem Land.» Diese tief sitzende Erfahrung werde «unser Land immer mit Freiheitsbewegungen in anderen Ländern verbinden».

Auch Dietmar Bartsch, Co-Chef der Linken-Fraktion, lobte die «friedliche Revolution», nannte sie ein «historisches Glück» – und verwies auf die Lage in Weissrussland. Diese zeige, dass solches Glück alles andere als selbstverständlich sei. Zugleich aber verwies Bartsch darauf, dass es noch immer grosse soziale Unterschiede gebe.

«Über sieben Brücken musst du gehen.»

Mindestens Versäumnisse und Irrtümer der wirtschaftlichen Abwicklung von ostdeutschen Firmen beklagte auch Katrin Göring-Eckardt, die Co-Fraktionschefin der Grünen. Sie tat es aber nicht wehklagend, sondern indem sie Unternehmen nannte, die einst abgeschrieben wurden und heute sehr erfolgreich seien. Und sie erwähnte, wie ostdeutsches Kulturgut Erfolge gefeiert hat. So habe Peter Maffay im Jahre 1980 bei der ostdeutschen Band Karat die Rechte für das später äusserst erfolgreiche Lied «Über sieben Brücken musst du gehen» gekauft.

Weniger prosaisch, aber für seine Partei ungewöhnlich trat der AfD-Chef Timo Chrupalla auf. Er sparte sich für einmal aggressive Attacken gegen alle anderen Parteien im Parlament und erinnerte stattdessen daran, dass die Menschen in der DDR zwar unterdrückt gewesen seien, aber viel Hilfsbereitschaft gezeigt hätten. «Vor allem im Privaten überlebte eine Mitmenschlichkeit», die heute viele Bürger vermissen würden. «Wir sollten uns fragen, warum», so Chrupalla.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus redete nicht nur über das Glück der Einheit, sondern warnte auch vor Streit und Spaltung. Die innere Einheit müsse auch und gerade im Bundestag immer wieder hergestellt werden. «Wir sind die Klammer, die dieses Land verbindet.» Umso wichtiger sei es, immer respektvoll miteinander umzugehen.