Rede von Boris Johnson«Der grossartigste Platz auf der Erde»
Der britische Premierminister macht beim Tory-Parteitag grosse Versprechen. Auf die Kritik an seiner Corona-Politik geht er nur bedingt ein, und der Brexit ist fast kein Thema.
Es ist kurz nach halb zwölf britischer Zeit, als sich Boris Johnson vor eine blaue Wand stellt und versucht, das Beste daraus zu machen. Der Tory-Parteitag findet wegen der Corona-Pandemie nicht wie geplant in Birmingham statt. Und so bleibt dem Premierminister nichts anderes übrig, als sich per Video an seine Parteimitglieder zu wenden. Johnson steht an diesem Dienstag also vor einer Kamera und erklärt zunächst einmal, dass er genug habe von diesem Virus, das auch ihn erwischt hatte. Und zwar so schwer, dass er im April auf der Intensivstation behandelt werden musste.
«Ich war zu fett», sagt Johnson in seiner Videoansprache. Doch seitdem habe er 26 Pfund abgenommen. Von Gerüchten, wonach er gesundheitlich noch immer angeschlagen ist, will der Premier allerdings nichts wissen: Dies sei «Nonsens» und «aufrührerische Propaganda». Er könne seine Kritiker auf jede erdenkliche Art und Weise widerlegen – sei es mit Armdrücken oder Beindrücken.
Wenn man so will, ist das dann auch Johnsons Botschaft an seine Partei: Glaubt nicht das, was in den Zeitungen steht. Ich bin immer noch euer Boris – und fit genug, um dieses Land zu führen.
«Grüne Revolution» weltweit anführen
Vor einem Jahr, beim Parteitag in Manchester, hatte es daran keine Zweifel gegeben. Johnson wurde gefeiert. Der Parteichef und sein Slogan «Get Brexit Done» bescherten den Tories den höchsten Wahlsieg seit Margaret Thatcher im Jahr 1987. Seit Dezember verfügt die Konservative Partei über eine Mehrheit von 80 Stimmen im Unterhaus. Doch dann kam die Corona-Krise und mit ihr eine schleichende Entfremdung zwischen Johnson und seiner Partei.
Mittlerweile hat es der Premierminister sogar geschafft, weite Teile der Tories gegen sich aufzubringen. Vielleicht war es ihm deshalb ganz recht, sich nicht persönlich der Kritik stellen zu müssen, die seit Monaten nicht abreisst.
In seiner Rede wendet sich Johnson immer wieder an seine Kritiker. So bittet er etwa um Verständnis, dass er in der Corona-Krise staatliche Eingriffe vornehmen müsse, die keine konservative Regierung gern getan hätte. Und er entwirft das, was man eine Zukunftsvision nennt: Johnson möchte aus Grossbritannien nicht weniger machen als «den grossartigsten Platz auf der Erde».
Trotz stark steigender Infektionszahlen verteidigt Johnson seinen Kurs in der Corona-Politik.
Um das zu erreichen, will der Premier nicht nur mehr Spitäler bauen und Polizisten einstellen, sondern die «grüne Revolution» weltweit anführen. So wie Saudiarabien für Ölreichtum bekannt sei, stehe das Vereinigte Königreich für Windenergie, sagt Johnson. Seine Regierung werde deshalb massiv in Offshore-Windparks investieren, sodass die dort gewonnene Energie jeden britische Haushalt bis zum Jahr 2030 versorgen könne.
Um zu zeigen, dass er die Fähigkeit zur Selbstironie nicht verloren hat, erinnert Johnson an jemanden, der vor gut zwanzig Jahren behauptet habe, dass solche Windparks «nicht in der Lage seien, die Haut von einem Milchreis abzuziehen». Derjenige, der dies gesagt habe, sei geschichtsvergessen, schliesslich sei es der Wind vor der britischen Küste gewesen, der einst die Segelschiffe berühmter britischer Seefahrer in die Welt hinaus gebracht habe. Johnson braucht seinen Anhängern nicht zu erklären, wer dieser angeblich geschichtsvergessene Mensch war – nämlich er selbst.
Auf die Kritik an seiner Corona-Politik geht Johnson an diesem Parteitag nur äusserst bedingt ein. Trotz stark steigender Infektionszahlen verteidigt er seinen Kurs. Im Grunde gibt er nicht mehr als das Versprechen ab, das man seit Ausbruch der Pandemie immer wieder von ihm hört: «Diese Regierung arbeitet Tag und Nacht daran, dieses Virus zu bekämpfen.»
Viele Versprechen gebrochen
Zum neuesten Fiasko sagt er jedenfalls kein Wort: Weil mehr als 15’000 positive Corona-Tests in der vergangenen Woche nicht richtig übermittelt worden waren, wurden Zehntausende Menschen nicht benachrichtigt. Die britischen Behörden sind dabei, dieses Versäumnis aufzuholen.
Es sind Pannen wie diese, die selbst enge Johnson-Anhänger verzweifeln lassen. Der Premier hat seit Ausbruch der Corona-Krise so viele Versprechen gebrochen und Kehrtwenden vollzogen, dass manche Tories aufgehört haben mitzuzählen. Hinzu kommt: Johnson selbst ist bis heute nicht in der Lage, Corona-Vorschriften öffentlich richtig zu erklären. Und so begehrt vor allem der libertäre Flügel gegen Johnson auf.
Dass die Labour-Partei in den Umfragen inzwischen vor den Tories liegt, sorgt für Missmut bei den Konservativen.
Etwa 80 Tory-Abgeordnete wollen Johnson wieder auf einen liberalen Kurs bringen, also weg von Bevormundung, Strafen und Gesetzen, die ihrer Meinung nach der Wirtschaft schaden. Die Rebellen fordern etwa, die kürzlich verhängte 22-Uhr-Sperrstunde für Pubs aufzuheben.
Für Missmut sorgt auch die Tatsache, dass die Labour-Partei in den Umfragen inzwischen vor den Tories liegt. Johnson reitet in seiner Rede zwar einzelne Attacken gegen Labour, aber weitaus eindringlicher klingt seine Botschaft in Richtung Schottland: So ruft er die «separatistischen schottischen Nationalisten» dazu auf, zusammenzuarbeiten, um die Einheit des Vereinigten Königreichs zu wahren.
Den Brexit streift der Premier nur kurz. Die Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein Freihandelsabkommen erwähnt er überhaupt nicht. Stattdessen sagt er zum Schluss: «Selbst in den dunkelsten Momenten können wir die hellere Zukunft vor uns sehen.»
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