Kolumne «Miniatur des Alltags»Der geadelte Patient
Vitamin B kannte die Redaktorin bis anhin bloss aus der Ernährungslehre. Nun lernte sie auch das «Beziehungs-Vitamin B» kennen.
Ein medizinischer Notfall brachte eines meiner Familienmitglieder in ein Spital im Kanton Zürich. Der Befund machte klar, dass ein heikler Eingriff nötig war. Zwei Optionen standen im Raum, welche die Ärzteschaft mit uns Angehörigen besprechen wollte.
Wir wurden also für ein klärendes Gespräch vor Ort aufgeboten. Dort teilte man uns nach dreistündiger Wartezeit mit, dass die Verantwortlichen verhindert seien.
Nächster Tag, neue Chance: Diesmal sollte eine Vertretung pro Operationsmethode am vereinbarten Gespräch teilnehmen. Doch auch an diesem Nachmittag fanden die Diskussionen einzig «en famille» statt. Die Spezialisten hatten anderes zu tun. Immerhin erbarmte sich der Stationsarzt und gab uns ein paar rudimentäre Informationen weiter. Und das Versprechen, dass sich die richtige Person noch am selben Abend bei uns melden würde. Was dann – man ahnt es – nicht der Fall war.
Ich weiss nicht, wie lange die Geschichte so weitergegangen wäre, würde zu unserem Bekanntenkreis nicht auch ein Spezialist des betreffenden Fachgebiets zählen, der beruflich engen Kontakt mit besagtem Spital pflegt. Er hörte von der Situation und schaltete sich ins Geschehen ein.
Ab diesem Zeitpunkt war die Gangart eine andere: Sofort erhielten wir einen neuen Termin. Zu diesem marschierte ein ganzes Defilee an Ärzten auf. Sie hatten den Fall inzwischen nicht nur intern nochmals ausführlich erörtert, sondern ihn zusätzlich einer schweizweiten Koryphäe zur Beurteilung vorgelegt. Als der Entscheid über die Operationsmethode gefallen war, war es der Chef höchstpersönlich, der den Eingriff erfolgreich durchführte.
Ich weiss nicht, ob wir ohne Vitamin B noch immer im Wartesaal des Spitals sässen. Aber mit Sicherheit hätte der Patient nicht diese hohe Qualität an Beratung und dieses Mass an Sorgfalt erhalten. Und das stimmt mich nachdenklich.
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