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Jugendgewalt in Zürich
Der Fokus aufs Utoquai reicht nicht

Die Gewalt unter Jugendlichen nimmt vor allem im öffentlichen Raum zu: Jugendliche am Zürcher Seebecken, mit Alkohol und Boombox ausgerüstet.
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Neue Zahlen der Zürcher Oberjugendanwaltschaft zeigen: Die Zahl der Strafverfahren gegen Jugendliche hat im Kanton zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahr sind 2021 14,5 Prozent mehr Verfahren eröffnet worden, insgesamt waren es 5961. Rund jeder sechste Fall war eine Gewalttat, was von einer Ohrfeige bis zum Messerangriff reichen kann. Insgesamt stieg die Zahl dieser Delikte von 914 auf 1014 an. Gemessen an der wachsenden Bevölkerungszahl ist die Tendenz allerdings umgekehrt: Die Quote von gewalttätigen Jugendlichen sank seit 2010 von 1,1 auf 0,9 Prozent.

Akzentuiert haben sich laut der Mitteilung der Oberjugendanwaltschaft drei Trends: Die Täter, meist männlich, werden tendenziell etwas jünger (Durchschnitt: 15,5 Jahre), und vermehrt werden die Gewalttaten aus Gruppen heraus und im öffentlichen Raum verübt.

Schwerpunkt geht weg vom Utoquai

Dass an öffentlichen Plätzen Handlungsbedarf besteht, stellte die Stadt Zürich bereits vor einigen Jahren fest. Beim Utoquai artete es wiederholt aus, es kam zu Messerstechereien, Gewalt gegen Jugendliche, aber auch gegen Beamtinnen und Beamte. Daraufhin lancierte die Stadt das Präventionsprojekt «Surplus», in das die Stadtpolizei Zürich, die SIP Züri, die Zürcher Gemeinschaftszentren, Ein Bus – Beratung auf vier Rädern, Saferparty Streetwork und die Suchtpräventionsstelle involviert sind. 

Laut Projektleiterin Martina Schneider hat sich die Lage beruhigt. Das Nebeneinander der verschiedenen Gruppen im öffentlichen Raum funktioniere besser als noch vor einigen Jahren. «Ob das nur ein Surplus-Effekt ist, ist aber schwer zu sagen, da sich der Start mit der Corona-Pandemie überlappt hat.»

Am vergangenen Wochenende startete «Surplus» in die dritte und erste Post-Covid-Massnahmen-Saison. Während 2020 der Fokus noch auf dem Utoquai lag, suchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der involvierten Organisationen nun an mehreren Hotspots den Kontakt zu den Jugendlichen. «Wir haben bereits 2020 gespürt, dass die stärkere Präsenz der aufsuchenden Jugendarbeit, aber auch der Polizei einen beruhigenden Effekt hat.» Deshalb habe man sich entschieden, auch andernorts in der Stadt aktiv zu werden.

Nicht nur Wodka-Flaschen und Lautsprecher

Dabei treffen die Mitglieder des «Surplus»-Netzwerks auf ganz unterschiedliche Dynamiken. Schneider: «Der Obere Letten zum Beispiel ist ein gemischter Sozialraum; es wird Musik gehört, Skaterinnen sind unterwegs, es wird aber auch Alkohol getrunken, in Lokalen und ausserhalb, und es sind Junge und Alte da.» Eine solche Durchmischung habe eine deeskalierende Wirkung.

Während am Utoquai oder am Stadelhofen vor allem Alkohol oder Littering Hauptthema sind, zeigen die Auswertungen von «Surplus» auch, dass sich im öffentlichen Raum nicht alles nur um Boomboxen und Wodka-Flaschen dreht. So sei an der Blatterwiese der Anteil Jugendlicher hoch, die Sport treiben oder musizieren, sagt Schneider.

«Surplus» will dank dieser Erkenntnisse die Einsätze individueller an die verschiedenen Orte anpassen. Schneider macht ein Beispiel: «Wenn wir feststellen, dass an einem Ort auffällig viele Drogen konsumiert werden, ergibt es Sinn, dort mit den Fachleuten von Saferparty Streetwork unterwegs zu sein.»

Der Start am vergangenen Wochenende sei verhältnismässig ruhig gewesen, sagt die Projektleiterin. Und dies trotz schönem Wetter.

Warnzeichen in Landgemeinden

Mit den steigenden Temperaturen wird sich diese Ruhe wohl verziehen, erwartet Marco Bezjak. Er ist Präsident der Mojuga-Stiftung, die im Auftrag von 19 Gemeinden des Kantons Zürich offene Jugendarbeit leistet. «In jüngster Zeit häufen sich Meldungen über Gewaltvorfälle, in die Jugendliche involviert sind», sagt er. Auch Littering- und Lärmklagen hätten zugenommen, seit der Frühling da ist. «Die Pandemie hat viele Jugendliche frustriert und Erwachsene gleichzeitig dünnhäutiger gemacht.»

Dass sich die Problematik im öffentlichen Raum akzentuiert, wie die Zahlen der Oberjugendanwaltschaft zeigen, ist für Bezjak logisch. «Wenn Menschen an einen Ort möchten, sie dort aber nicht willkommen sind, kommt es zu Konflikten.». Für ihn ist klar: In den Gemeinden bräuchte es mehr Orte, die sich die Jugendlichen aneignen und wo die offene Jugendarbeit wirken könne. «Die Realität ist aber eine andere, der Raum für Jugendliche ist kaum vorhanden und wird immer erst dann zum Thema, wenn es bereits brennt.»

Bezjak nimmt erste Warnzeichen einer Eskalation wahr: «In verschiedenen Gemeinden sehen wir Gruppen, die sehr destruktiv unterwegs sind.» Die Jugendlichen seien auf den öffentlichen Raum angewiesen, sagt er. Sie hätten kaum Geld und kaum Rückzugsmöglichkeiten wie eigene Wohnungen. «Sie wollen raus, müssen es zum Teil auch – nicht alle haben eine entspannte Atmosphäre zu Hause.»