Klagen gegen den RapstarReich, mächtig – kriminell? Der Fall Sean Combs
Gegen Sean «Diddy» Combs gibt es zahlreiche Vorwürfe. Es geht um Vergewaltigung, Drogenschmuggel, Waffengewalt – und die Grenze zwischen einem Leben als Superstar und einem als Verbrecher.
Sean Combs ist ein freier Mann, und als solcher tat er am Osterwochenende, was freie Leute mit seinen finanziellen Möglichkeiten so tun: Er golfte mit seinen Zwillingstöchtern, traf in einem Naturkost-Restaurant Fans und den Promi-Fitnesstrainer Wes Watson (der das Video der Begegnung sogleich auf Instagram veröffentlichte), radelte um seine Villa im Nobelviertel Star Island (wie einst im Musikvideo «Bad Boy for Life») und kurvte im Luxustruck zum Flughafen; von dort aus flogen Freunde und Familienmitglieder in seinem Privatjet in den Karibikurlaub. Der 54 Jahre alte Combs, besser bekannt als Hip-Hop-Mogul Diddy, früher Puff Daddy, blieb daheim.
«Lifestyle of the Rich and Famous» nennen die Amerikaner das – das Leben der Reichen und Berühmten, und wenn einer ganz besonders vermögend und mächtig ist, dann nennen sie es «get-away-with-murder rich»: derart reich, dass einer mit den schlimmstmöglichen Verbrechen davonkommt. Genau darum geht es nun auch bei den zahlreichen Vorwürfen, die derzeit gegen Rapper Combs erhoben werden: dass er nicht nur den Lifestyle der Reichen pflegte, sondern mehr als 30 Jahre lang die schlimmsten Dinge angestellt habe und damit durchgekommen sei.
Es gibt keine formelle Anklage gegen Combs, es gilt also die Unschuldsvermutung; sein Anwalt Aaron Dyer nennt das, was in den vergangenen Tagen passiert ist, einen «grob übermässigen Einsatz militärischer Gewalt», er spricht von einer Hexenjagd, die durch ihre Präsenz in den Medien zu einer Vorverurteilung geführt habe. Bundesbehörden hatten die Häuser von Combs in Miami, New York und Los Angeles durchsucht, gepanzerte Polizeifahrzeuge und Beamte in Tarnkleidung rückten an, es geht um Drogenschmuggel, Prostitution, Vergewaltigung, Menschenhandel, sexuelle Nötigung, Waffenbesitz und -gewalt.
Am Flughafen wurde der 25 Jahre alte Brendan Paul verhaftet, in seiner Tasche waren Kokain und Marihuana gefunden worden. Es heisst, dass Paul der Packesel für Drogen und Waffen gewesen sein soll.
«Wenn du mal eine verrückte Hausparty feierst: Ruf mich an!»
Im Zentrum der Vorwürfe gegen Combs steht die Klage, die Musikproduzent Rodney «Lil Rod» Jones bereits im Februar eingereicht hatte. Der Rapper habe ihn während der Produktion der Platte «The Love Album: Off the Grid», erschienen im September 2023, zu Drogenkonsum und sexuellen Handlungen mit Prostituierten gezwungen. Er sei nicht nur Gastgeber ausschweifender Partys – im «Bad Boys for Life»-Video sagt Schauspieler Ben Stiller augenzwinkernd zu Combs: «Wenn du mal eine verrückte Hausparty feierst: Ruf mich an!» –, sondern «Anführer eines gefährlichen und vor allem weitreichenden Menschenhandelsrings».
Die Klageschrift führte zu weiteren Klagen. Die Beschreibung von Combs’ Partys etwa, auf denen alkoholische Getränke mit Drogen versetzt oder Minderjährige zu sexuellen Handlungen gedrängt worden seien.
Das deckt sich mit der Aussage einer Frau, die im Dezember 2023 ebenfalls Klage eingereicht hatte – sie sei von Combs im Alter von 17 Jahren vergewaltigt worden. Eine andere Frau hatte erklärt, mit 17 im Privatjet nach New York geflogen, dort mit Alkohol und Drogen abgefüllt und schliesslich von Combs und zwei Begleitern vergewaltigt worden zu sein.
Zudem beschreibt Jones Einschüchterungen durch den mächtigen Rapper, die ähnlich klingen wie das, was dessen Ex-Freundin Cassie Ventura berichtet hatte. Ventura hatte im November 2023 Klage eingereicht: Sie sei 2005, nachdem Combs sie mit 19 Jahren unter Vertrag genommen hatte, Teil seines Lifestyles geworden. Sie habe eine Waffe tragen müssen, um stets daran erinnert zu werden, wie gefährlich Combs sei. 2018 habe der Musiker sie vergewaltigt. Die beiden einigten sich aussergerichtlich, Anwalt Dyer stellte damals klar, dass dies kein Schuldgeständnis seines Mandanten sei. Nun wird diese rasche Einigung auch als Hinweis gewertet, wie schnell sich die Reichen und Berühmten von schlimmstmöglichen Vorwürfen befreien können.
In der Klageschrift geht es auch um Jennifer Lopez und Prinz Harry
Die einzelnen Klagen ergeben wie Puzzleteile das Bild eines Mannes, der nicht nur zahlreiche Verbrechen begangen haben soll, sondern der auch damit angegeben hat, nie für diese belangt zu werden. In der Klage von Jones heisst es auch, dass Combs damit geprahlt habe, «auf Leute zu schiessen und damit durchzukommen».
Das könnte ein Hinweis auf die Schiesserei im Nachtclub am Times Square in New York sein, kurz vor Silvester 1999: Combs und seine damalige Freundin, Sängerin Jennifer Lopez, waren damals freigesprochen worden, obwohl ein Opfer vor Gericht ausgesagt hatte, dass der Rapper geschossen habe – und diese Behauptung nun in einem Fernsehinterview bekräftigte: «Ich hatte klare Sicht. Um Himmels willen, mir wurde in die Nase geschossen», sagte Natania Reuben. «Ich habe genau gesehen, wer die Pistolen gezückt hat.»
Es könnte sein, dass dieser Fall jetzt neu aufgerollt wird und dass auch Lopez – sie soll die Waffen in den Club geschmuggelt haben – belangt wird.
In der Klage von Jones werden zahlreiche Prominente erwähnt. Schauspieler Cuba Gooding Jr. zum Beispiel, dem sexuelle Nötigung vorgeworfen wird. Oder Rapper 50 Cent: Der liefert sich gerade einen Sorgerechtsstreit mit seiner Ex-Freundin Daphne Joy um das gemeinsame Kind – in der Klage wird Joy als eine von drei einstigen Sexarbeiterinnen von Combs identifiziert. 50 Cent lässt seitdem keine Gelegenheit aus, zu sticheln und sogar eine Doku mit dem Titel «Diddy Do It?» anzukündigen: «Das wird Rekorde brechen.» Erwähnt wird auch Prinz Harry – nicht als möglicher Täter, sondern als einer, mit dem Combs geprahlt habe, wenn es um sein Netzwerk ging.
Stand jetzt ist Combs, trotz all der Klagen, ein freier Mann mit vielen Beziehungen und noch mehr Geld. Über seinen Anwalt liess er ausrichten, dass die Vorwürfe haltlos seien – und auf Instagram veröffentlichte er am Ostersonntag Fotos von seiner 15 Monate alten Tochter Love mit dem Hinweis: «Frohe Ostern von Baby Love.»
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