Corona in MexikoDer Drogenboss hilft beim Homeschooling
Ein Drogenkartell unterstützt Familien in den Slums beim Heimunterricht. Es spendiert Computer, Tische und sogar Uniformen – alles mit den Initialen seines berüchtigten Chefs «El Chapo». Was dahinter steckt.
Die sogenannte Bildschirmzeit ist ein Problem, das in Familien weltweit Streit verursacht. Dank Streaming, Satellitenfernsehen und dem Netz bekommen Kinder und Jugendliche den Kanal nämlich buchstäblich nicht voll. Die Pandemie hat da nicht geholfen: Schulen sind zu, die Augen dafür gerötet, es ist ein Graus.
In Ampliación Bicentenario kennt man solche Probleme nicht. Hier hat man andere, die allerdings viel drängender sind. Das Viertel liegt im Süden der mexikanischen Stadt Culiacán. Es besteht aus ein paar Hütten aus Brettern und Wellblech, nebenan die städtische Müllkippe. Viele Bewohner durchsuchen sie tagtäglich nach Verwertbarem – einen anderen Job haben sie nicht. Das reicht oft nicht einmal, um Essen auf den Tisch zu bringen, geschweige denn, einen Fernseher oder ein Smartphone zu kaufen.
Dealer statt Lehrer
Das klingt im ersten Moment nach Luxusproblemen. Aber vor allem der fehlende Internetzugang stellt viele Menschen in Zeiten von Covid-19 vor grosse Herausforderungen. So haben in Mexiko seit Beginn der Pandemie viele Kinder nur noch Unterricht im Netz oder per Schulfernsehen, in Ampliación Bicentenario aber gibt es weder Laptops noch TV-Geräte.
Eltern dort sagen, sie hätten die lokalen Behörden seit langem gebeten, etwas zu unternehmen. Allerdings ohne Erfolg. Auf offene Ohren und vor allem eine offene Brieftasche trafen sie dafür bei der nächsten Drogen-Gang: Sie spendierte Computer, Bildschirme und Drucker, alles versehen mit goldglänzenden Buchstaben auf schwarzem Grund: den Initialen des Bosses, JGL, Joaquín Guzmán Loera, genannt «El Chapo».
Keine neue Masche Mit beachtlicher Grausamkeit hat dieser es zu einem gigantischen Drogenimperium gebracht. Nun, wo El Chapo in den USA in Haft sitzt, führen seine Söhne, die Chapitos, die Geschäfte weiter: Drogenschmuggel, Schutzgelderpressung, Entführung, Prostitution und Mord. Viele Mexikaner sind bei all der Gewalt schon abgestumpft, umso mehr Aufsehen erregt nun die vermeintlich karitative Ader des Kartells.
Dabei geht es den Kartellen nicht ums Karma, sondern ums Geschäft.
Dabei ist diese nicht neu: Bereits zu Beginn der Pandemie haben die Narcos Bohnen, Öl und Desinfektionsmittel verteilt, alles schön verpackt in Kartons – bedruckt mit dem Gesicht von El Chapo. Auch in anderen Regionen Mexikos gab es solche Care-Pakete von den lokalen Kartellen, und oft waren sie es auch, die Ausgangssperren verhängten, nicht nur in Mexiko, sondern auch in Brasilien, Kolumbien oder El Salvador.
Die Pandemie hat einen Prozess verstärkt, der seit Jahrzehnten in Lateinamerika zu beobachten ist: Gangs übernehmen staatliche Aufgaben. Ausser um Drogen kümmern sie sich um die Fürsorge: In guten Zeiten organisieren sie das Satellitenfernsehen, in schlechten Zeiten Medikamente.
Dabei geht es den Kartellen nicht ums Karma, sondern ums Geschäft. Mit Terror allein bekommt man nicht den Rückhalt in der Bevölkerung, der aber ist essenziell, um sich gegen Konkurrenten zu wehren, Drogen zu verstecken und Nachwuchs zu rekrutieren. Auch hier wird die Pandemie den Gangs in die Hände spielen. Lateinamerikas Wirtschaften wanken, die Arbeitslosigkeit steigt, bei den Kartellen aber gibt es immer Jobs. Sollten die Kinder in Ampliación Bicentenario mal einen brauchen, wissen sie schon, wo sie sich hinwenden müssen.
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