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Der «Capitano» könnte sich verschätzt haben

Der italienische Innenminister Matteo Salvini vergnügt sich nach einer Rede in Potenza am 10. August. Foto: Tony Vece (EPA)
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Hat sich Matteo Salvini ver­rechnet? Geblendet von den ­Umfragen, die seine Lega bei fast 40 Prozent sehen? Verführt vom Chor «Grande Matteo!», den ihm seine Anhänger auf allen Plätzen und Stränden des Landes entgegenschmettern? Gebauchpinselt von den langen Warteschlangen derer, die unbedingt ein Selfie mit ihrem «Capitano» wollen?

Vor ein paar Tagen rief der italienische Innenminister ins Publikum: «Gebt mir alle Vollmachten.» Dann werde er schon für Italien sorgen. Er, ganz allein. Darum wolle er jetzt, nach dem Bruch mit den Cinque Stelle, schnell Neuwahlen.

Gut möglich, dass es nicht so schnell gehen wird, wie Salvini das gerne hätte. Es formiert sich gerade ein mächtiger Block, der andere Pläne hat. Und da Salvinis rechte Lega im aktuellen Parlament real viel weniger Gewicht hat, als es der forsche Auftritt des Vizepremiers vermuten liesse, kann ihm diese Front alles vermiesen.

Im Senat, wo bald ein Misstrauensantrag gegen Premier Giuseppe Conte die Regierungskrise konkretisieren soll, verfügt die Lega über 58 Stimmen. Sie ist nur viertgrösste Fraktion, sogar die bürgerliche Forza Italia ist stärker. Wenn sich also einige Akteure zusammentun, endet Salvini womöglich für eine ganze Weile in der Opposition. Dafür gab es prominente Signale am Wochenende.

Ein ungewöhnlicher Block

Zunächst meldete sich Beppe Grillo aus der Versenkung, der Gründer und «Garant» der Cinque Stelle. Auf seinem Blog schrieb er, Kohärenz sei nicht alles, jetzt gelte es, den «neuen Barbaren» den Weg zu versperren. Gemeint waren Salvini und die Seinen, mit denen die Fünf Sterne eben erst noch regiert hatten. Es gehe ums Überleben, räumte der Komiker ein. «Unsere Bewegung ist zwar biologisch abbaubar, doch das heisst nicht, dass wir Kamikazen sind.» Fänden bald Neuwahlen statt, verlören die meisten Sterne ihren Sitz im Parlament. Grillos Kapriole lässt sie nun hoffen, dass die Legislaturperiode nicht bereits zu Ende ist. Allerdings müssten sie sich dafür mit bisherigen Gegnern verbünden.

Mit den Sozialdemokraten vom Partito Democratico hatten sie nach den Wahlen im März 2018 schon mal verhandelt. Die Gespräche scheiterten, weil ­Matteo Renzi, früher Premier und Parteichef, wild gegen eine Koalition war. Noch vor wenigen Wochen sagte er: «Mit den Cinque Stelle? Nie!» Nun aber ist er zu einem Pakt bereit. In einem Interview im «Corriere della Sera» spricht Renzi von der Gefahr eines Abdriftens in den Autoritarismus. Man könne das Land doch nicht für fünf Jahre Salvini überlassen.

Es zirkuliert auch schon ein Name für die Operation: «Regierung der nationalen Rettung». Die Rede ist von einem institutionellen Kabinett, angeführt von einer Persönlichkeit ohne klare Parteiprägung. Das würde man unterstützen, eigene Minister hätte man darin aber nicht.

Folgt die Partei der Idee des Ex? Nicola Zingaretti, ihr neuer Generalsekretär, forderte in den vergangenen Tagen inständig baldige Neuwahlen, wie Salvini. Doch im gegenwärtigen Parlament sitzen fast nur «Renziani». Auch bei Silvio Berlusconis Forza Italia überlegt man sich, ob nicht Zeit sei, den rechten Aufsteiger zurückzubinden. Zusammen hätten Cinque Stelle, Partito Democratico und Forza Italia mehr als 200 Stimmen; für die Mehrheit braucht es 161.

Spiel mit der Zeit

Conte würde den Misstrauensantrag der Lega auch überstehen, wenn sich «Renzianer» und «Berlusconianer» der Stimme enthielten. Seinen Rücktritt müsste der süditalienische Anwalt aber einreichen, weil die Koalition, die ihn bislang trug, offiziell zerbrochen wäre.

Doch Staatspräsident Sergio Mattarella könnte den parteilosen Conte – oder einen anderen konsensfähigen Kandidaten – mit einem neuen Regierungsauftrag ins Parlament schicken. Bringt der eine Mehrheit zusammen, regiert er, solange die hält. Am Ende kommt es auf die Zahlen an, so funktioniert eine parlamentarische Demokratie. Das scheint Salvini vergessen zu haben.

In dieser Geschichte gibt es aber auch eine politische Dimension, die grosse Gunst Salvinis im Volk ist ja nicht nur ein Hirngespinst des Innenministers. Wird er ausgebremst, fördert das vielleicht seine Popularität zusätzlich. Mattarella könnte deshalb entscheiden, einer Übergangsregierung nur einen begrenzten Zeithorizont und einige wenige Aufgaben zuzugestehen, bevor neu gewählt würde: die Verabschiedung des Haushalts für 2020 etwa und die Umsetzung der bereits auf den Weg gebrachten Verkleinerung des Parlaments.

Die beiden Kammern sollen künftig 345 Sitze weniger haben. Dafür muss aber die Verfassung umgeschrieben werden, und das braucht Zeit. Vor dem Sommer 2020 wären Wahlen unmöglich. Und wer weiss, was bis dann alles passiert.

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Salvinis Aufstieg zum grössten Rechtspopulisten in Europa