Die italienische Regierung zerbricht an sich selbst
Matteo Salvini verkündet das Ende der Koalition mit den Cinque Stelle – ohne sicher zu sein, dass auch bald neu gewählt wird.
Regierungskrise, und das mitten im August. Früher war der Sommer heilig, auch die Politik pausierte. Diesmal ist alles anders, und wahrscheinlich wird man sich dann einmal an einen Auftritt von Matteo Salvini in Sabaudia erinnern, einer Retortenstadt aus dem Faschismus und Badeort im Süden Roms, wo alles mit einer Verspätung begann.
Es war schon 21.35 Uhr, als der Innenminister endlich auf die Piazza fuhr, wo ihn einige Hundert neugierige Touristen erwarteten. Mehrere Fernsehsender übertrugen live. Ein sehr aufgeregter, sehr hoffnungsfroher Vertreter seiner Partei hatte getwittert, der «Capitano» werde eine «Atombombe» zünden. Die Koalition der Lega mit den Cinque Stelle? Am Ende. Die Regierung? Kurz vor der Explosion.
Dann betrat Salvini die Bühne, die Hemdsärmel hatte er zurückgestülpt. Für einmal trug er sogar Krawatte, die Aufmachung grosser Tage. «Mamma mia, was für ein Spektakel», sagte er in die Menge und setzte zu einer langen Rede an. Er lobte sich selbst ausgiebig für tolle Arbeit in den vergangenen vierzehn Monaten an der Regierung, für den Stolz, den er «dem schönsten Land der Welt» zurückgegeben habe. «Es war ein sehr schönes Jahr», sagte er, so, in der Vergangenheitsform, und gestand aber auch schlaflose Nächte ein, denn ja: «Die Verantwortung für dieses Land lastet schwer auf meinen Schultern.» Salvini redet mittlerweile so, als herrsche er alleine. Seine Fans lieben es.
Nur noch «sì»
Mehr als eine Stunde dauerte die Rede, die grosse Detonation aber blieb vorerst aus. Salvini drohte mal wieder. Doch er brach nicht mit seinen Alliierten von den Cinque Stelle. Obschon sich die im Senat erdreistet hatten, einen Stopp der Schnellzugverbindung von Turin nach Lyon zu fordern. Salvini stellt die Ablehnung des grossen, bereits begonnenen Bauprojekts als Vertrauensbruch dar, als Illustration für das angebliche rückwärtsgewandte Denken der Sterne. Italien brauche viele «sì», sagte er, keine «no».
Nun aber dient die Angelegenheit plötzlich als Vorwand für den Bruch mit seinen schwachen Regierungspartnern. Am Tag nach Sabaudia traf er sich mit allen möglichen Leuten, fiebrig, im schnellen Takt. «Die Regierungsmehrheit ist zerbrochen, wir wollen so bald wie möglich neu wählen», sagte Salvini gestern Abend. Er habe Premierminister Giuseppe Conte aufgefordert, ins Parlament zu gehen. Aber was will er da? Das ganze Parlament ist in den Ferien. Und nun also soll Krise sein.
Möglich sind jetzt mehrere Szenarien, eines geht so: Conte reicht bei Staatspräsident Sergio Mattarella den Rücktritt ein. Der kann ihn beauftragen, erneut zu versuchen, eine Mehrheit zusammenzubringen. Dafür müssten die Parlamentskammern aber wieder geöffnet, die Senatoren und Abgeordneten aus den Ferien geholt werden. Wenn es gelingt, die zerrissenen Bande zwischen Lega und Cinque Stelle zu nähen, könnte Salvini die Partnerpartei und ihren Chef Luigi Di Maio dazu drängen, ein neues, ganz auf die Lega ausgerichtetes Reformprogramm zu akzeptieren. Dazu gehören zwei bisher ausgebremste Vorhaben, die vor allem den Menschen im Norden des Landes, wo der grösste Teil von Salvinis Wählerschaft lebt, wichtig sind: mehr Autonomie und weniger Steuern.
Knickt Di Maio ein, nachdem er schon alle Extravaganzen der Lega im Umgang mit den Bootsflüchtlingen hingenommen hat, ist er politisch erledigt. Beendet er die Allianz mit Salvini endgültig, ist seine Karriere wohl auch vorbei: Di Maio ist schon zweimal ins Parlament gewählt worden, laut den Statuten der Sterne darf er nicht nochmals antreten. Er personifiziert den Niedergang der Bewegung. Nie zuvor in der Geschichte Italiens hat eine Partei, die die Wahlen so deutlich gewonnen hat wie die Cinque Stelle im März 2018, in so kurzer Zeit fast alles verloren.
Drei Köpfe gefordert
Um für sich und seine Parteigänger wenigstens noch ein paar Jahre an der Macht zu sichern, könnte Di Maio im Notfall auch einer grösseren Regierungsumbildung zustimmen. Man hört, Salvini fordere für diesen Fall mindestens drei Köpfe. Gefährdet ist zunächst Danilo Toninelli, der Transportminister. Seit Monaten beschimpfen sich die beiden. Neulich sagte Salvini, Toninelli sei «schlicht unfähig», worauf Letzterer Ersteren «einen Zwerg auf den Schultern von arbeitenden Giganten» nannte.
Mit Gigant meinte Toninelli wohl auch sich selbst. Um ihren Posten müsste auch Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta bangen, ebenfalls von den Cinque Stelle. Sie legte sich zuletzt oft an mit dem Innenminister, wenn der meinte, er könne auch über die Marine verfügen.
Wer der dritte Wackelkandidat wäre, ist umstritten. Manche wollen Sergio Costa ausgemacht haben, den Umweltminister, andere Giovanni Tria, den Finanz- und Wirtschaftsminister. Wäre es Tria, würde Italien ein Ritt auf den Achterbahnen der Finanzmärkte drohen. Der Wirtschaftsprofessor gilt als Garant dafür, dass sich das Land wenigstens einigermassen an die Haushaltsvorgaben aus Brüssel hält.
Frühestens Mitte Oktober
Offiziell eingeläutet ist die Regierungskrise aber erst, wenn Conte das Scheitern seines Kabinetts einräumt und zurücktritt, oben, im Quirinalspalast. Und dann läge alle Entscheidungshoheit zunächst einmal bei Mattarella, dem Staatschef. Er könnte die Kammern auflösen und Neuwahlen ansetzen, wie das Salvini fordert. Ein Wahltermin wäre frühestens Mitte Oktober möglich. Mattarella könnte nach dem ganzen Theater der Populisten aber auch entscheiden, eine parteilose Übergangsregierung einzusetzen, die den Haushalt in Ordnung bringen würde.
Die Italiener sprechen in diesem Fall von einer «Krise im Dunkeln». Man weiss, dass Krise ist, aber nicht, wie sie ausgeht. Auch darum hat Salvini wohl schlaflose Nächte. Er wäre gerne ganz sicher, dass es auch sofort Neuwahlen gibt. Die Lega würde sie wohl hoch gewinnen. Aber was ist, wenn es ein längeres Intermezzo gibt? Und wenn sich in der Zwischenzeit die Affäre um eine angebliche Parteifinanzierung aus Russland, das «Moscopoli», zu einem echten Problem auswächst?
Es ist Sommer, und nichts ist wie sonst.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch