Sommer in Zürich Mit seiner Cajón bringt er den Oberen Letten zum Tanzen
Sound, Hitze, Körper: Sobald die Temperaturen steigen, wird das Flussbad rechts der Limmat zur «Sommerferien-Sonderzone». Mittendrin trommelt Luis Cames zum Sound aus den Boxen.
Zwischen Dynamo und Kornhausbrücke herrscht ein anderes Zürich. Ein etwas lauteres, leichteres, chaotischeres Zürich, anders, als man sich das von den Freibädern im Rest der Stadt gewohnt ist. Hörbar sind die Vorboten dieser Vergnügungszone schon von weitem.
Auf dem Lattenrost und der kleinen Wiese reihen sich die Körper auf den schattenlosen Flächen, House und Reggaeton pumpt aus einigen mitgebrachten Boxen, die manchmal so gross sind wie Umzugskisten. Es wird an bunten Drinks genippt. Hier herrscht ein gut gelauntes Gewusel.
Er beschallt die ganze Umgebung
Mittendrin, bei der Bar Gump auf einer Steintreppe, sitzt Luis Cames auf seiner Cajón. Geschickt schlägt der 40-Jährige mit seinen Fingern auf die traditionelle Kistentrommel. Manchmal mehr auf den Rand, wodurch ein hoher Ton entsteht, manchmal mehr in die Mitte, was einen tiefen Bass erzeugt. Cames ergänzt mit seinem Instrument den Sound aus einer grossen Musikbox, die ein Bekannter von ihm mitgebracht hat und mit der dieser wiederum die ganze Umgebung beschallt.
Es ist einer der raren Sommerabende in diesem Jahr. Und das hier ist der Sound, der seit einigen Jahren dazugehört. «Ohne diese Musik ist die Gegend mittlerweile schwer vorstellbar», sagt Cames in spanisch gefärbtem Deutsch. Zeit zum Sprechen hat er nur kurz, er möchte zurück zu seinen Kumpels, lieber trommeln als reden.
Seine Schläge ergänzen den Rhythmus
Gerade läuft das Stück «Perro negros» des puerto-ricanischen Superstars Bad Bunny. Diese galoppierenden Reggaeton-Beats, zu denen Cames hier einen tribalistischen Zusatz beisteuert, dominieren seit einigen Jahren die Clubs nicht nur in Zürich, sondern weltweit. Cames’ kontrarhythmische Schläge ergänzen den Rhythmus mit einer Zusatzdosis Euphorie. Wie um das zu beweisen, bleiben zwei Frauen neben der Box stehen und beginnen zu tanzen.
«Deshalb komme ich hierher», sagt Cames. «Die Freunde, die Sonne, die Frauen, die gern zu meiner Musik tanzen», sagt der gebürtige Spanier, der vor mehr als 15 Jahren wegen der Liebe vom spanischen Salamanca nach Zürich gezogen ist. Die Liebe ist verflogen, aber er ist in Zürich geblieben. Am Oberen Letten sei es nicht immer so locker gewesen, sagt er, der schon seit mehr als zehn Jahren hierherkommt. Aber in den vergangenen Jahren habe sich das hier immer mehr zu Partyzone entwickelt.
Tagsüber arbeitet Cames als Metallschlosser bei einem Zulieferer der Swiss. Doch die Cajón sei mehr als ein Hobby. Er habe die Kistentrommel schon als 13-Jähriger in den Strassen Salamancas gespielt. Egal, wo er gerade loslegt: «Immer versammeln sich spontan Leute rund um das Instrument», sagt Cames. Neben seinem Engagement am Letten spielt er auch in Clubs und ergänzt House-DJs mit seinen Rhythmen.
Zuerst die Latinas, dann die Schweizerinnen
Cames gehört zu einer losen Gruppe von etwa 40 Leuten, die den typischen Sound zum Oberen Letten beisteuern. Dies geschieht nicht geplant, sondern spontan. Manchmal sind die grossen Boxen miteinander verknüpft, sodass auf allen die gleiche Musik spielt. «Viele, die herkommen, sind Latinas oder Latinos», sagt Cames. «Sobald sie tanzen, folgen auch die Schweizerinnen und Schweizer.»
Manchmal stören sich Leute auch an der ungefragten Beschallung. Eine Frau, die auf einem Sitzplatz direkt oberhalb der Box in ein Gespräch vertieft ist, bittet die Gruppe, die Musik leiser zu drehen. «Das ist eine Ausnahme», sagte Cames, die meisten Leute würden die Musik schätzen. Mit den alten Betreibern der Bar, die vergangenes Jahr aufhören mussten, seien sie manchmal in Konflikt geraten, weil die Musik aus den Bar-Boxen nicht mehr hörbar gewesen sei. Die neuen Betreiber hätten sich noch nie beschwert.
Im Gegenteil. Für Tacio Stoller, Geschäftsleiter der Bar Gump am Oberen Letten, gehören die Boxen zum Sound, zum «speziellen Vibe» des Oberen Letten. «Die Stimmung hier ist doch einzigartig für Zürich, nicht?», sagt er. Stoller bringt es auf die Formel «Schauen, zeigen, geniessen!». Und wenn die Boxen einmal doch zu laut würden, müsse man halt mit den Leuten reden. Dass er selbst Spanisch spreche helfe dabei.
Cames ist mittlerweile wieder in sein Spiel vertieft. Immer wieder kommen Leute, die sich spontan zum Sound bewegen. Ob an diesem Abend noch weitere Leute mit Boxen aufkreuzen werden, kann er so früh am Abend noch nicht sagen. «Es entsteht hier alles spontan, wir verabreden uns nie extra», sagt er. Sicher sei lediglich, dass es am kommenden Sommerwochenende hoch hergehen werde. Nicht zuletzt, weil es in diesem Jahr noch nicht so viele Gelegenheiten gab, um zu trommeln.
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