Joe Bidens neue RegierungDemokraten liefern sich erbitterten Streit um Regierungsposten
Die einen wollen unbedingt eine Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums, die anderen einen Schwarzen. Und auch die Parteilinke will berücksichtigt werden.
Vor einigen Tagen stellte der künftige US-Präsident Joe Biden in einem Hotel in Delaware die Männer und Frauen vor, die für ihn die Aussen- und Sicherheitspolitik machen sollen. Anthony Blinken war anwesend, der designierte Aussenminister, ebenso Jake Sullivan, der neue Sicherheitsberater, sowie John Kerry, der Sondergesandte für Klimapolitik. Auch Avril Haines und Linda Thomas-Greenfield standen auf der Bühne, die Biden zur Geheimdienstdirektorin respektive zur UNO-Botschafterin ernennen will.
Da Personalspekulationen in Washington derzeit der beliebteste Zeitvertreib sind, fiel jedoch sofort auf, dass eine Person fehlte, die bei der Aussen- und Sicherheitspolitik durchaus mitzureden hätte: Michèle Flournoy. Die 59-Jährige galt als gesetzt für das Amt der Verteidigungsministerin.
Flournoy hat in Harvard und Oxford studiert, sie ist eine ausgewiesene Militär- und Sicherheitsexpertin und hat eine beeindruckende Regierungskarriere hinter sich. Keine Frau ist in der zivilen Hierarchie des Pentagons höher geklettert als sie, in der Regierung von Barack Obama war sie Vizeverteidigungsministerin. Kaum jemand bezweifelte, dass Biden Flournoy das Pentagon anvertrauen würde.
Aber dann war Flournoy nicht in dem Hotel in Delaware dabei, und aus Bidens Umfeld sickerte durch, dass dieser sich wohl doch noch nicht ganz sicher sei, wen er als Verteidigungsminister haben wolle. Zugleich meldete sich James Clyburn zu Wort, der ranghöchste schwarze Abgeordnete im Kongress. Clyburn ist ein enger Vertrauter Bidens und hat durch seine Wahlempfehlung in South Carolina wesentlich dazu beigetragen, dass dieser die demokratische Präsidentschaftskandidatur gewonnen hat.
Heftiger Kampf um das Pentagon
Clyburn, so könnte man sagen, hat etwas gut bei Biden. Und Clyburn liess Biden öffentlich und auf unzweideutige Weise wissen, dass er mehr Afroamerikaner im Kabinett sehen wolle. Nur eine schwarze Frau – die designierte UNO-Botschafterin Thomas-Greenfield – das sei doch eher enttäuschend, so Clyburn.
Seither tobt in Washington ein heftiger Kampf um das Pentagon, der mit offenen Briefen, Internetkampagnen und Gastbeiträgen in den einschlägigen Zeitungen, der «New York Times» und der «Washington Post», ausgetragen wird. Die Verbündeten von Flournoy, darunter viele namhafte Sicherheitsexpertinnen in den Universitäten und Denkfabriken der USA, haben mobilgemacht. Sie wollen die erste Frau an der Spitze des Pentagon durchsetzen.
Aber Clyburns Unterstützer halten dagegen. Sie fordern, dass Biden den ersten schwarzen Verteidigungsminister des Landes ernennt, und haben dafür zwei Gegenkandidaten zu Flournoy in Stellung gebracht: den ehemaligen Heimatschutzminister Jeh Johnson und den früheren General Lloyd Austin. Mit einer Entscheidung Bidens wird frühestens nächste Woche gerechnet.
Die Episode zeigt, wie mühsam die Zusammenstellung seines Kabinetts für Biden ist. Der künftige Präsident muss bei der Auswahl seines Teams zwischen diversen Flügeln und Fraktionen seiner Partei manövrieren, die alle eigene Vorstellungen und zum Teil sehr klare Forderungen haben, wer welches Amt bekommen soll und wer nicht.
Qualifikation, Erfahrung und eine gute persönliche Chemie mit dem künftigen Präsidenten sind zwar wichtige Kriterien. Kaum weniger wichtig sind allerdings Kriterien wie Geschlecht, ethnische Herkunft und ideologische Ausrichtung. In der Praxis bedeutet das, dass Biden darüber, ob er einer Frau oder einem Afroamerikaner das Pentagon überträgt, mindestens genauso gründlich nachdenken muss wie darüber, ob diese Person etwas von der Vergabe von Rüstungsaufträgen oder hybrider Kriegsführung versteht.
Eine weitere Kluft, die bei der Personalauswahl eine grosse Rolle spielt, ist die zwischen dem moderaten und dem linksliberalen Flügel der Demokraten, zwischen Zentristen und Progressiven. Bisher hat Biden, ein erklärter Zentrist, den Linken noch kein wirklich prominentes Regierungsamt überlassen.
Belohnung für Unterstützung im Wahlkampf
Die Hoffnung der Progressiven, der Präsident werde die linksliberale Senatorin Elizabeth Warren zur Finanzministerin machen, hat sich zerschlagen. Auch die Chance, dass Biden seinen alten Vorwahlkampf-Rivalen Bernie Sanders als Arbeitsminister ins Kabinett holt, ist nicht sehr gross. Das hat zur Verärgerung bei den Progressiven geführt. Sie argumentieren, dass sie Biden trotz Vorbehalten im Wahlkampf unterstützt und zu dessen Sieg beigetragen hätten. Dafür wollen sie belohnt werden. Das betont auch die bekannte, junge Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez immer wieder, sie lässt dem Wahlsieger Biden keine Ruhe.
Biden akzeptiert durchaus die Forderungen der Progressiven. Allerdings traf die Belohnung, die er dem linken Parteiflügel zugedacht hatte, zu seiner Überraschung dort auf wenig Gegenliebe. Biden hat Neera Tanden als künftige Direktorin des «Office of Management and Budget» (OMB) nominiert, der Haushaltsabteilung des Weissen Hauses. Das ist ein durchaus macht-, aber nicht sehr glanzvolles Amt.
Tanden, deren Eltern aus Indien in die USA eingewandert sind, leitet in Washington das Center for American Progress, eine Art politische Denk-, Planungs- und Beratungsorganisation, die nicht ganz, aber doch verhältnismässig weit links steht. Biden hatte zunächst einen 60 Jahre alten, weissen Mann namens Bruce Reed als OMB-Direktor im Auge, einen Zentristen, dem ein ausgeglichener Haushalt wichtiger ist als neue Sozialausgaben und gegen den der linke Parteiflügel sofort mit einer Internet-Petition Sturm lief. Die Nominierung der 1970 geborenen Einwanderertochter Tanden war daher so etwas wie ein Friedensangebot.
Am Ende entscheidet der Senat
Vor allem für die Anhänger von Bernie Sanders sah die Personalie aber eher wie eine Provokation aus. Tanden hat den linken Senator, der nicht der Demokratischen Partei angehört, inzwischen jedoch schon zweimal versucht hat, Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden, immer wieder harsch kritisiert. Aus dem Sanders-Lager wird deswegen heftig gegen Tanden geschossen, allerdings scheint diese Gegenwehr im Moment vor allem ein Twitter-Phänomen zu sein, das Biden ignorieren kann. Jene Demokraten, die so erfolgreich gegen Reed gemeutert haben, haben jedenfalls bisher keine Revolte gegen Tanden angezettelt.
Am Ende allerdings könnte sich die ganze mühevolle Arbeit an einem ausbalancierten Kabinett als zwecklos erweisen: Minister, Botschafter und die OMB-Direktorin müssen vor Amtsantritt vom Senat bestätigt werden. Dort haben derzeit die Republikaner die Macht. Und die haben, was Ämter und Personen angeht, wieder ganz eigene Vorstellungen.
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