Kontroverse ComedyDave Chappelles Genie blitzt auf, dann kommen die Behindertenwitze
Der geniale, umstrittene US-Comedystar machte sich zuletzt notorisch genüsslich über Minderheiten lustig. Jetzt hat er ein neues Netflix-Special.
Der amerikanische Stand-up-Comedian Dave Chappelle hat ein neues einstündiges Netflix-Special. Das klingt für die allermeisten Deutschschweizer Ohren erst mal nicht allzu aufregend. Aber Dave Chappelle ist nicht irgendein amerikanischer Stand-up-Comedian.
Für nicht wenige Kenner und Verehrer ist der 1973 in Washington D.C. als Sohn eines Musikprofessors und einer Professorin für African Studies geborene Komiker so etwas wie der Lionel Messi dieser Kunst. Der Beste, ein Comedy-Genie.
Zu seiner Legende gehört, dass er mit «Chappelle’s Show», einer brillant selbstironisch-anarchischen Sketchrevue, deren zentrales Thema der amerikanische Alltagsrassismus war, Anfang der Nullerjahre zum Comedy-Superstar aufstieg. Ein Anschlussangebot seines Senders Comedy Central über 50 Millionen Dollar schlug er jedoch aus, weil er mit seiner Rolle als Antirassismusclown vom Dienst fremdelte. Er zog sich danach auch noch fast zehn Jahre von der grossen medialen Bühne zurück, trat als Nachtclub-Comedian auf, kümmerte sich sonst aber vor allem um Frau und Kinder.
2017 kehrte er schliesslich triumphal zurück, mit vier gefeierten Netflix-Specials in nur einem Jahr. Drei weitere folgten seither allein auf Netflix, 2019 gabs noch den Mark Twain Prize for American Humor, eine Art Comedy-Oscar fürs Lebenswerk. Mit gerade einmal Mitte vierzig.
Ein Versöhner, ein Tröster, ein Ermutiger
Und was soll man sagen: Der Mann ist wirklich ein verrückt guter Comedian, auch im neuen Special wieder, das «The Dreamer» heisst. Clever, warmherzig, selbstironisch, witzig, demütig, grössenwahnsinnig, widersprüchlich, kritisch. Und mehr als das. Er ist ein begnadeter Unterhalter, ein Durchblicker, ein Geschichtenerzähler, ein Versöhner, ein Tröster, ein Ermutiger. Das besonders.
Die gesamte letzte Viertelstunde von «The Dreamer» ist entsprechend eine grosse Ermutigung zum Träumen – und eine Ermutigung, daran zu glauben, dass Träume wahr werden können. Aber es ist sogar noch mehr, es ist eine kluge, schmerzhaft dialektische Reflexion über den Zufall – und darüber, wem man eigentlich zu danken hat, wenn man das Glück hat, dass die eigenen Träume wahr werden.
Das ist der grosse Chappelle – weniger ein Comedian als ein klassischer öffentlicher Intellektueller, nur lustiger. Sein Statement in der wichtigsten amerikanischen Comedyshow «Saturday Night Live» kurz nach der Wahl Donald Trumps im November 2016 oder 2020 sein Netflix-Special «8:46» nach dem Mord an George Floyd machten ihn zu so etwas wie einem Nationalhelden des liberalen Amerika. Zu einem, der auch für die schwersten Momente Worte findet, die leicht, aber nicht leichtfertig sind.
Witze über Behinderte
Andererseits: Seit dem Comeback gingen irritierenderweise immer mehr Chappelle-Pointen auf Kosten von Frauen, Homosexuellen und Transgender-Menschen. Also auf Kosten von Marginalisierten und Minderheiten, die über die sozialen Medien inzwischen ja die Möglichkeit haben, sich lautstark zu wehren. Und auch da ist das neue Special dann leider wieder keine Ausnahme.
Chappelle macht sich sogar einen Spass daraus, diesmal auch noch Witze über Menschen mit Behinderungen anzukündigen: «Die sind nicht so gut organisiert wie die Homosexuellen!» Und er liebe es nun mal, «nach unten zu treten». Dann kommen die Gags natürlich. Und er bekommt die Lacher – so wie in den vergangenen Tagen das Kopfschütteln und die Kritik vieler einstiger Verehrer. Im «Spiegel» schrieb der deutsche Comedian Oliver Polak, Teile der neuen Show wirkten «wie Beschwerden eines wütenden alten Mannes, der vergessen hat, wo er herkommt».
Tritt er nur noch nach unten?
Tatsächlich ist der Vorwurf, er betreibe «Punching down», er trete bloss noch nach unten, seit Jahren aus guten Gründen der schwerwiegendste Vorwurf an Chappelles Comedy. Genau das würde man ja von einem schwarzen Comedian, der mit rassismuskritischen Sketchen berühmt wurde, auch nicht erwarten. Wie so oft in den Kulturkriegen der Gegenwart machte ihn der Einspruch scheinbar aber immer nur noch trotziger und sturer. «Gender is a fact.» Das Geschlecht eines Menschen etwa ist für ihn unverhandelbar, daran lässt er erstaunlich humorfrei keinen Zweifel zu, obwohl er von Details und vom Stand der Forschung offensichtlich keinen Schimmer hat. Alles andere ist für ihn pure wichtigtuerische Anmassung von Leuten, die keine richtigen Probleme haben.
Bisher veranlasste ihn die Kritik nicht dazu, seine Gags zu überdenken oder sich gar zu entschuldigen. Und jetzt?
Tja, von Entschuldigungen ist er weiter weit entfernt. Die Selbstironie, mit der er auf den Vorwurf des Nach-unten-Tretens eingeht, spricht dagegen schon für ein paar Gedanken. Nur welche? Da er die Gags einfach durchzieht, bleibt nur so etwas Merkwürdiges wie Selbstironie auf Kosten anderer übrig. Auch wenn man deutlich spürt, dass er an der Stelle das alberne Kind absichtlich von der Leine lässt. Nur, was will er damit beweisen?
Der Schluss über das Träumen immerhin, in dessen Mittelpunkt ein famoser Gag steht, dessen Pointe der Erfolg des queeren Popsuperstars Lil Nas X ist, macht es der Kritik deutlich schwerer. Und vielleicht blickt der Durchblicker Chappelle ja gerade auch nicht genau durch und weiss nur, dass er wenigstens nicht so tun will als ob. Es ist kompliziert. Und es sind ja auch komische Zeiten für Komik.
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