Nach dem Urnengang in SpanienDas Volk wollte mehr Mitte – nun kriegt es ein Patt
Spaniens neues Parlament tritt am Donnerstag erstmals zusammen. Wieso die anstehende Regierungsbildung ungewöhnlich schwer werden dürfte.
Es ist ein heisser August in Spanien. Aber nicht nur die Hitze dürfte Politikerinnen und Politiker die letzten Wochen um ihren Nachtschlaf gebracht haben – sondern auch die Gedanken an die anstehende Regierungsbildung. Am Donnerstag werden die 350 Abgeordneten des neuen Parlaments zur konstituierenden Sitzung zusammenkommen, und so wie es aussieht, stehen die Diputados vor der womöglich schwierigsten Koalitionsfindung seit Einführung der demokratischen Verfassung von 1978.
Dabei hatten die Wahlen am 23. Juli eigentlich ein deutliches Signal gegeben: ein Bekenntnis zur politischen Mitte, zur Mässigung, gegen Radikalisierung. Fast zwei Drittel der spanischen Wähler stimmten für eine der beiden traditionellen Volksparteien, den sozialistischen PSOE und den konservativen Partido Popular (PP) – so viele wie seit Jahren nicht mehr. Regionale oder separatistische Parteien wie in Katalonien haben eher Stimmen verloren als gewonnen, die Ultranationalisten von Vox sind von 52 auf 33 Sitze abgestürzt.
Kleinparteien sind plötzlich wichtig
Dennoch kann sich keine der Volksparteien auf eine verlässliche Mehrheit im Kongress stützen. Der PP zieht zwar mit der stärksten Fraktion (137 Abgeordnete) in die gesetzgebende Abgeordnetenkammer ein, aber anders als es Umfragen vor der Wahl prognostiziert hatten, reicht es auch im Duo mit Vox nicht zur Mehrheit – auch nicht zu einer einfachen Mehrheit, die im Falle wiederholter Wahlgänge ausreichen würde. Noch mehr Sitze fehlen den Sozialisten um den amtierenden Regierungschef Pedro Sánchez, um im Bündnis mit der linken Sammlungsbewegung Sumar, der Nachfolgerin der Graswurzelpartei Unidas Podemos, die Regierungsgeschäfte fortzuführen.
In diesem Gefüge kommt den sieben regional und teilweise separatistisch agierenden Kleinparteien plötzlich eine herausragende Bedeutung zu – von der Baskenbewegung Bildu bis zu den katalanischen Separatisten. Im Wissen um ihre Chance treten die Kleinparteien bereits mit ungestümen Forderungen auf. Die meiste Aufmerksamkeit zieht dabei ein Mann auf sich, der gar nicht Mitglied des neuen Parlaments ist, sondern sich in Belgien dem Zugriff der spanischen Strafverfolgungsbehörden entzieht: Carles Puigdemont, Ex-Präsident der Autonomieregierung Kataloniens, Organisator des illegalen Abspaltungsreferendums im Jahr 2017 und Strippenzieher seiner Partei Junts per Catalunya, die mit sieben Abgeordneten im Kongress vertreten sein wird.
Dass Junts gegenüber 2019 beträchtlich an Stimmen verloren hat, hindert die Katalanen nicht, bereits Maximalforderungen zu formulieren: Freispruch für Puigdemont und seine Mitangeklagten sowie ein Unabhängigkeitsreferendum.
Solche Zugeständnisse oder gar eine Regierungsbeteiligung der Separatisten würden indes weite Teile der spanischen Bevölkerung zutiefst empören und wären auch für die Sozialisten nicht akzeptabel. Ähnliches gälte für ein Mitwirken der Baskenpartei Bildu, die ehemalige ETA-Leute in ihren Reihen hat. Zudem würde der Senat, das PP-dominierte Oberhaus, das seinige tun, um die Gesetzgebung eines sozialistisch-links-separatistischen Kongresses zu erschweren.
«Frankenstein-Regierung» nannten Sánchez’ Gegner sein seit 2018 regierendes Linksbündnis. Nun malen Konservative das Schreckgespenst «Frankenstein 2.0» an die Wand. Auf der anderen Seite sieht sich PP-Chef Alberto Núñez Feijóo mit der Tatsache konfrontiert, dass fast keine der Kleinparteien ein Bündnis unterstützen würde, dem die Ultranationalisten von Vox angehören. Das macht eine Mehrheitsfindung für Feijóo nahezu aussichtslos.
Welche Machtspiele in der neuen Abgeordnetenkammer zu erwarten sind, zeigt sich bereits jetzt, vor der ersten Sitzung und bevor der König einen der beiden, Feijóo oder Sánchez, verfassungsgemäss mit der Regierungsbildung beauftragt hat. Am Donnerstag wird zunächst die sogenannte Mesa bestimmt, das Präsidium des Kongresses. Es ist ein Gremium, das die Abläufe im Parlamentsbetrieb regelt und viel Einfluss hat. Fast alle der elf im Kongress vertretenen Parteien erheben Ansprüche auf Posten in der Mesa. Von Belgien aus twitterte Puigdemont den Begriff der «Versteigerung» und meinte vermutlich: Zustimmung nur gegen Zugeständnisse.
Sogar die mit lediglich einer Abgeordneten vertretene Regionalpartei der Kanarischen Inseln fühlt sich zur Mitsprache berechtigt. Von ihr kommt der Vorschlag, die Parlamentspräsidentschaft einem der fünf Abgeordneten der baskischen Regionalpartei PNV anzutragen. Man ahnt, was Sánchez und seine 121 Sitze starke sozialistische Fraktion noch zu sagen hätten, sollte er tatsächlich eine – rechnerisch mögliche – hauchdünne Mehrheit im Kongress zusammenzimmern. Mit dem Wunsch der Wähler nach mehr Mitte könnte das wenig zu tun haben.
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