Analyse zu den Virus-SkeptikernIn der Krise versagen die Macho-Politiker
Staatschefs vom Schlage des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro waren lange erfolgreich, doch im Kampf gegen das Coronavirus kommen sie ans Limit.
Kurz nachdem das Coronavirus auch in Brasilien zu wüten begann, erklärte Präsident Jair Bolsonaro, er selbst brauche sich wohl kaum zu fürchten vor dem Erreger. Er habe ja eine Vergangenheit als Athlet, sagte der frühere Kapitän der Fallschirmjäger. Das Virus sei ausserdem nur ein «Grippchen», dem man entgegentreten müsse wie ein Mann.
Nun, mehrere Monate und Zehntausende Tote später, hat sich auch Bolsonaro mit dem Erreger infiziert. Sein Test sei positiv gewesen, sagte er am Dienstag. Aber: kein Grund zur Sorge. «Seht mich an, es geht mir gut!», so Bolsonaro. Dass es vielen anderen der 1,7 Millionen Infizierten in seinem Land durchaus schlecht geht? Egal. Für Bolsonaro zählen nur er selbst und seine Erfahrung. Politik als One-Man-Show, die Hauptstadt als Gorillahügel, ganz oben der Silberrücken, der nichts und niemanden neben sich duldet.
Populisten und Macker
Dieses Alphatiergehabe ging lange gut. Nicht nur Bolsonaro ist damit ins Amt gekommen, sondern auch Männer wie Donald Trump in den USA und bis zu einem gewissen Grad Boris Johnson in Grossbritannien sind es. Weltweit gibt es eine ganze Reihe solcher Staatenlenker, die man als Populisten bezeichnen könnte, oder aber auch als Macker. Von ihren Hügeln der Macht aus haben sie sich in der Vergangenheit mal kumpelhaft zugeblinzelt, mal drohend angebrüllt. Das Niveau liegt dann oft unter dem einer Umkleidekabine in der Regionalliga.
Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vergangenes Jahr Brasilien wegen der Brände im Amazonas kritisierte, schnaubte Bolsonaro sofort etwas von Kolonialgehabe zurück, dazu machte er sich im Netz über Frankreichs First Lady lustig. Auf Kundgebungen demonstriert Brasiliens Präsident gerne seine Körperkraft mit Liegestützen, dazu ballert er mit imaginären Schusswaffen in die Luft.
Protzgehabe in Reinstform, das funktionierte bisher, doch in den vergangenen Monaten hat sich die Welt durch Corona verändert wie lange nicht mehr. Die Umwälzungen geschahen so schnell, dass noch nicht klar ist, wie mit der neuen Situation richtig umzugehen ist. Die Kraftmeier in der Weltpolitik aber machen einfach weiter, als wäre nichts geschehen. Schlimmstenfalls trommeln sie sich noch ein bisschen fester auf die Brust.
Die Frauen machen es besser
Viele der Länder, die besonders erfolgreich im Kampf gegen das Virus sind, werden von Frauen gelenkt, das so gut wie virusfreie Neuseeland wird dafür gern als Beispiel herangezogen, aber auch Deutschland. Die Regierungschefinnen macht nicht einfach nur ihr Geschlecht zu besseren Anführerinnen in der Krise. Der grosse Unterschied liegt darin, dass sie Experten in ihre Entscheidungen einbeziehen. Wissen und Informationen, so scheint es, sind vorerst die einzige Medizin gegen das Virus, sie passen aber nicht zusammen mit dem Führungsstil eines präsidialen Machos.
Die Folgen davon kann man in Brasilien sehen: Hier hat Bolsonaro schon im April seinen Gesundheitsminister gefeuert, einen Arzt, der auf einer Maskenpflicht und Quarantänemassnahmen beharrt hatte. Den Nachfolger im Amt ignorierte Brasiliens Präsident dann komplett, über seinen Kopf hinweg erklärte Bolsonaro Fitnessstudios und Schönheitssalons für systemrelevant, entnervt gab auch dieser Minister auf. Inmitten einer weltweiten Pandemie führt nun provisorisch ein General das Gesundheitsministerium. Eine medizinische Ausbildung hat er nicht. Das ist aber egal. Er soll Befehle befolgen, nicht Ratschläge erteilen.
Boris Johnsons später Kurswechsel
Doch das Virus ist kein Gegner, der sich durch Anbrüllen einschüchtern lässt. Es verschont nicht die Angeber und Schreihälse, sondern die Vorsichtigen mit Mundschutz und Desinfektionsmittel.
Grossbritanniens Premier Johnson hat sich bereits infiziert, nun also auch Bolsonaro. Johnson hat es damals schwer erwischt, er landete auf der Intensivstation, am Ende führte diese Erfahrung sogar zu einem Kurswechsel seiner Regierung.
Bolsonaro gehört zur Risikogruppe. Brasiliens Präsident ist 65 Jahre alt, er hatte letztes Jahr eine Lungenentzündung, und 2018 wurde er im Wahlkampf bei einer Messerattacke schwer verletzt. Der Erreger ist also eine reelle Gefahr für die Gesundheit des brasilianischen Präsidenten – aber auch für seine Macht.
Sollte er schwer erkranken, würde es in Zukunft schwieriger für ihn werden, die Pandemie herunterzuspielen. Er wird darum alles daransetzen, auch nach seiner Infektion als starker Mann dazustehen. Nur keine Schwäche zeigen, jetzt erst recht. Mit dem Virus sei es wie mit einem Regenguss, sagt der Präsident. «Irgendwann erwischt es dich.» Na und?
Bolsonaro wird seine Erkrankung vermutlich überleben. Fast 70’000 Brasilianer aber sind schon am Erreger gestorben. Und wer dennoch Zweifel an den Folgen toxischer Männlichkeit in Zeiten von Covid-19 hat, der möge sich bitte die Statistik mit den weltweiten Todeszahlen ansehen: Brasilien steht hier auf Platz 2. Zwischen den USA und Grossbritannien.
Fehler gefunden?Jetzt melden.